Hallesches Tor

Das Halle­sche Tor ist für die meis­ten heute nur ein Umstei­ge­bahn­hof zwischen zwei U‑Bahnlinien. Dabei war dieser Ort zwei Jahr­hun­derte lang einer der wich­tigs­ten Berlins.
Septem­ber 1743: Ein 14-jähri­ger Junge kommt nach langem Fußmarsch aus Dessau endlich in Berlin an. Nein, er kommt an die Stadt­mauer, die Berlin umschließt. Es ist bereits die zweite Stadt­mauer, eine etwa vier Meter hohe Palli­sade, inner­halb der sich nicht nur die Stadt Berlin befin­det, sondern in der östli­chen Hälfte auch noch Lände­reien. Die Mauer wurde erst wenige Jahre vorher fertig­ge­stellt, 1735, vorher gab es die Bastio­nen.
17 Tore hat diese Stadt­mauer. Benannt sind sie fast alle nach dem Ort, den man erreicht, wenn man durch dieses Tor Berlin verlässt und immer dem Weg folgt. Noch heute sind die Namen von eini­gen dieser Tore allge­mein bekannt, z.B. Schle­si­sches Tor, Kott­bus­ser Tor und Halle­sches Tor. Andere Tor-Namen leben als Plätze weiter, wie der Pots­da­mer oder der Rosen­tha­ler Platz.
Der 14-Jährige kam aus Dessau in Sach­sen-Anhalt, über die Straße, die von Berlin nach Halle führt. Also erreichte er die Stadt am Halle­schen Tor, jedoch durfte er sie hier nicht betre­ten. Denn er war Jude und deshalb war nur ein einzi­ges Tor für ihn passier­bar: Das Rosen­tha­ler Tor auf der ande­ren Seite Berlins. So musste Moses Mendels­sohn — so hieß der Junge — einen weiten Weg gehen, um endlich ein Tor zu finden, bei dem er eine Chance zum Eintritt hatte. Zwar hat es auch dort nur mit einer List geklappt, aber das ist eine andere Geschichte.

Das Halle­sche Tor war schon zu dieser Zeit ein verkehrs­rei­cher Ort. Einige Jahre zuvor war an seiner Innen­seite ein Platz ange­legt wurden, das soge­nannte Rondell, nach dem Vorbild des Piazza del Popolo in Rom. Seine Gegen­stü­cke waren das Acht­eck (Leip­zi­ger Platz) und das Quadrat (Pari­ser Platz). Auf das Rondell führ­ten inner­halb Berlins drei Stra­ßen zu, die Wilhelm‑, Fried­rich- und Linden­straße, alle Stra­ßen­na­men exis­tie­ren noch heute. 23 Häuser stan­den anfangs auf dem Platz, dazwi­schen war ein Markt. 1815 erhielt der Platz den Namen Belle Alli­ance, 1843 dazu noch eine 19 Meter hohe “Frie­dens­säule” mit einer bron­ze­nen Vikto­ria des Bild­hau­ers Chris­tian Daniel Rauch. Im Jahre 1947 wurde der Platz in Mehring­platz umbe­nannt.
Das Halle­sche Tor entwi­ckelte sich aber auch außer­halb, zumal einige Meter weiter der Land­wehr­gra­ben vorbei­führte, der später zum Kanal ausge­baut wurde, einer der wich­ti­gen Verkehrs­adern dieser Zeit. Dahin­ter befand sich seit 1815 der Platz am Halle­schen Tor (seit 1884 Blücher­platz).
Als die Stadt­mauer um 1867 abge­ris­sen wurde, war das Halle­sche Tor schon zu beiden Seiten eng bebaut. Bereits seit 1850 gab es eine Klapp­brü­cke über den Kanal, doch diese war mitt­ler­weile völlig unzu­rei­chend. An ihrer Stelle entstand 1876 eine neue Über­que­rung des Land­wehr­ka­nals, mit 33 Metern die brei­teste Brücke der Stadt. An ihrer Südseite wuchs die Tempel­ho­fer Vorstand als bürger­li­ches Wohn­vier­tel heran. Auf dem Bauwerk wurde eine Figu­ren­gruppe aus Marmor errich­tet, die die Fische­rei, die Schiff­fahrt, den Handel und den Gewer­be­fleiß symbo­li­sie­ren. Im Krieg wurden zwei dieser Figu­ren zerstört. Die beiden ande­ren über­leb­ten, weil sie zwischen­zeit­lich einen ande­ren Stand­ort bekom­men hatten, um dem Hoch­bahn­bau Platz zu machen. Heute stehen sie wieder auf der Brücke. Vor allem der Hoch­bahn­hof mit seinen markan­ten Trep­pen­auf­gän­gen geben dem Ort heute ein beson­de­res Bild. Der südli­che Aufgang befin­det sich sogar über dem Wasser des Kanals.
Ende des 19. Jahr­hun­derts explo­dierte der Verkehr, allein neun Pfer­de­bahn­li­nien und eine Pfer­de­om­ni­bus­li­nie kreuz­ten die beiden Plätze. 1896 war das Halle­sche Tor nach dem Pots­da­mer Platz der verkehrs­reichste Ort Berlins. Am 19. Novem­ber 1905 begann hier auch der Lini­en­ver­kehr mit moto­ri­sier­ten Omni­bus­sen. Einen opti­schen Einschnitt erlebte das Halle­sche Tor aber schon drei Jahre vorher, als die Hoch­bahn­stre­cke vom Stra­lauer Tor zum Pots­da­mer Platz gebaut wurde. Die Bahn wurde hier auf Stel­zen teil­weise über dem Land­wehr­ka­nal errich­tet, um Platz zu sparen. Immer­hin führ­ten neun Stra­ßen auf die beiden Plätze nörd­lich und südlich des ehema­li­gen Tores.
Am Vormit­tag des 3. Febru­ars 1945 kam für den Belle-Alli­ance-Platz, das Halle­sche Tor und den Blücher­platz das Aus: Das ameri­ka­ni­sche Flächen­bom­bar­de­ment ließ kaum ein Gebäude übrig. Zwar wurden die Häuser im Belle-Alli­ance-Platz noch­mal provi­so­risch herge­rich­tet, aber das war nur für ein paar Jahre. In den 60er und 70er Jahren verwan­delte die Gegend ihr Gesicht grund­le­gend, vier der hier ankom­men­den Stra­ßen biegen seit­dem vor dem Halle­schen Tor in eine andere Rich­tung ab. Das ehema­lige Rondell wurde wieder rund bebaut, dies­mal aber einge­bet­tet in eine große Fußgän­ger­zone. Wilhelm- und Linden­straße wurden vor dem Platz zum Land­wehr­ka­nal umge­bo­gen, die Fried­rich­straße endet seit­dem am Mehring­platz.
Groß waren auch die Verän­de­run­gen am Blücher­platz: Die Belle-Alli­ance-Straße, 1947 zu Mehring­damm umbe­nannt, erhielt eben­falls einen Knick und verläuft seit­dem west­lich des letz­ten noch bestehen­den Wohn­blocks. Die eins­tige Blücher­straße endet nun nicht mehr auf dem gleich­na­mi­gen Platz, sondern wurde quer über den alten Jeru­sa­lems-Fried­hof gelegt und geht nun in die Oben­traut­straße über. Vom Ufer her kann man den Platz nicht mehr befah­ren, dort gibt es nur noch eine Stich­straße, die zur Amerika Gedenk­bi­blio­thek führt. Und auch die Brücke ist dem Indi­vi­du­al­ver­kehr verwehrt. Hier befin­det sich die Endhal­te­stelle einer Busli­nie.
Das Halle­sche Tor ist zwar immer noch ein Knoten­punkt, aller­dings nur als Umstei­ge­bahn­hof der U‑Bahn. Dass die einmal einer der verkehrs­reichs­ten Orte Berlins war, ist nicht mehr vorstell­bar.

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3 Kommentare

  1. Hallo,
    ich habe seit 1945 in der Stre­se­mann­straße und anschlie­ßend in der Gits­chi­ner­straße gewohnt. Also habe ich den Wandel des Halle­schen Tores sehr gut mitbe­kom­men und fand es auch immer span­nend. Unten uns oben die U‑Bahn, im Kanal die Schifffs­fahrt, auf der Staße der Pferdekutschen‑, Auto- und Fahr­rad­ver­kehr und dann noch die Flug­zeuge zum Flug­ha­fen Tempel­hof. Da war wirk­lich was los.
    Doris

  2. Wirk­lich sehr inter­es­sant. Ich als Hambur­ge­rin weiß derzeit leider noch nicht so viel über Berlin. Hatte mich jedoch gefragt warum es in Berlin sooo viele “Tore” gibt. Vor allem warum die U‑bahnhaltetellen so genannt werden. Nun weiß ich mehr. Danke :) Maya

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