Architektur im Untergrund

U-Bhf. Klosterstraße von Alfred Grenander, Creative Commons 4.0

Eigent­lich ist die U‑Bahn ein Berli­ner Kind. Die Geschichte der Unter­grund­bahn ist eng mit der Entwick­lung Berlins zur Metro­pole verbun­den. Durch die Erfin­dung der elek­trisch betrie­be­nen Eisen­bahn durch Werner von Siemens in den sieb­zi­ger Jahren des vorletz­ten Jahr­hun­derts wurden die Voraus­set­zun­gen für ein unter­ir­di­sches Verkehrs­sys­tem erst geschaf­fen.

So wurden die ersten Stre­cken­ab­schnitte in Berlin auch privat­wirt­schaft­lich von Siemens und Halske entwi­ckelt. Sie schlu­gen vor, das Teil­stück Fried­rich­straße — Pots­da­mer Platz der ersten geplan­ten Linie von der Warschauer Brücke zum Zoolo­gi­schen Garten als unter­ir­di­sche Bahn­an­lage zu errich­ten. Aufgrund der statisch ungüns­ti­gen Boden­ver­hält­nisse, des sandi­gen Bodens und des hohen Grund­was­ser­stands sollte der Tunnel möglichst dicht unter der Stra­ßen­ober­flä­che ange­legt werden. Diese geringe Tiefe unter­schei­det die Berli­ner von ande­ren unter­ir­di­schen Bahnen. Siemens bezeich­nete sie als Unter­pflas­ter­bahn und prägte damit den noch heute gebräuch­li­chen Begriff.
Im Gegen­satz hierzu liegt die Trasse der Londo­ner “Tube” etwa 20 bis 50 Meter unter­halb der Erdober­flä­che. Stre­cken­ab­schnitte und Bahn­höfe erhiel­ten ihre spezi­fi­sche Röhren­form durch die Art des Tunnel­vor­trie­bes. In dieser Tiefen­lage erfolgte die Stre­cken­füh­rung unab­hän­gig vom ober­ir­di­schen Stra­ßen­netz.

In Berlin folgt die Trasse weit­ge­hend den Stra­ßen. Trasse und Bahn­höfe konn­ten in einfa­chen Verfah­ren in der offe­nen Baugrube erstellt werden. Dadurch ergab sich ein mit Hoch­bau­ar­chi­tek­tur vergleich­ba­rer räum­li­cher Aufbau. Die ausge­ho­bene Station erhielt je nach Ausmaß eine oder mehrere Stüt­zen­rei­hen, auf die Querträ­ger aufge­legt wurden. Zwischen diesen Trägern wurden Ziegel­kap­pen­de­cken gespannt, später auch einfa­che Beton­plat­ten. Die geringe Tiefe ermög­lichte den Zutritt zur Station direkt vom Stra­ßen­raum. Die Zugänge konn­ten an den Stra­ßen auf den seit­li­chen Gehwe­gen oder im Mittel­strei­fen ange­ord­net werden.

Von Anfang an war eine natür­li­che Belich­tung der Bahn­höfe gewünscht. Bereits die Planung für den ersten Stre­cken­ab­schnitt 1897 enthielt den Entwurf für eine Gale­rie­stre­cke am Reichs­tag­ufer. Die Kaimauer sollte dort ober­halb des Wasser­spie­gels geöff­net werden. Auch die Anlage größe­rer Ober­licht­öff­nun­gen fand sich bereits in frühen Entwür­fen.

In den folgen­den 80 Jahren wurde das Grund­ge­rüst unter­schied­lich inter­pre­tiert. Siemens, Halske und die Gesell­schaft für elek­tri­sche Hoch- und Unter­grund­bah­nen versi­cher­ten sich früh­zei­tig der Mitar­beit guter Archi­tek­ten. Seit 1897 war der Archi­tekt Paul Wittig Vorstands­mit­glied der Gesell­schaft. Der dama­lige Zeit­geist brachte den nüch­ter­nen, rein zweck­mä­ßig gestal­te­ten Eisen­kon­struk­tio­nen wenig Verständ­nis entge­gen. Wittigs Aufgabe war zuerst, die Inge­nieur­kon­struk­tio­nen zu verschö­nern. Seine eige­nen Werke blie­ben über­wie­gend histo­ri­sie­rend. Aber durch sein Enga­ge­ment kam Alfred Gren­an­der zur Gesell­schaft, der sich in den folgen­den 30 Jahren zu dem bedeu­tends­ten Baumeis­ter der Berli­ner U‑Bahn entwi­ckelte. Anfäng­lich war auch Gren­an­der bemüht, die Eisen­kon­struk­tio­nen mit Guss­ka­pi­tel­len und Schmuck­ele­men­ten zu verse­hen. Sehr bald jedoch erkannte er die dem Walz­stahl eige­nen Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten und verschaffte seinen Stahl­kon­struk­tio­nen durch gekonnte Profi­lie­rung und den bewuss­ten Einsatz von Nietun­gen große Eleganz. 1907 entwi­ckelte er für die Innen­stadt­li­nie einen einheit­li­chen Bahn­hof­ty­pus, eine für die dama­lige Zeit sehr unge­wöhn­li­che Konzep­tion.

Die erst­mals mit Mittel­bahn­steig ausge­rüs­te­ten Bahn­höfe verfüg­ten über ein weit­ge­hend einheit­li­ches Konstruk­ti­ons­sys­tem. Die elek­tri­sche Beleuch­tung wurde in den Stütz­kopf inte­griert, die Wand­flä­chen mit hellen glasier­ten Flie­sen bedeckt. Zur Unter­schei­dung der jewei­li­gen Station wurden alle Stahl­teile des Bahn­ho­fes, also Stüt­zen, Träger, Gelän­der, Mobi­liar sowie die Umfas­sun­gen der Stati­ons­schil­der und der erst­mals einge­führ­ten Werbe­ta­feln in einer Kenn­farbe ausge­führt. Die diszi­pli­nierte Gestal­tung und der gezielte Einsatz von Farbe grif­fen der Neuen Sach­lich­keit voraus.

Der Höhe­punkt der redu­zier­ten Gestal­tung und gleich­zei­tig ein sinn­li­ches Farb­er­leb­nis sind die alten Statio­nen der U‑Bahn. Soweit noch nicht durch unbe­dach­ten Flie­sen­aus­tausch zerstört, kommt hier das Farb­kon­zept in umge­kehr­ter Form zur Geltung. Die einheit­lich blau­graue Farb­ge­bung der Stahl­teile kontras­tiert mit den in jeder Station unter­schied­lich farbig glasier­ten Wand­ke­ra­mi­ken. Alle Details sind auf ein abso­lu­tes Mini­mum redu­ziert, nur durch die Quali­tät der Glasu­ren entstan­den Farb­flä­chen von großer Leben­dig­keit.

Die ersten Statio­nen der Nach­kriegs­zeit entspra­chen aus finan­zi­el­len Grün­den der Schlicht­heit dieser Bahn­höfe. Zwar hinter­lie­ßen die 1950er ihre Spuren in Form geschwun­ge­ner Decken und Gelän­der sowie der Farb­wahl der Klein­mo­sa­ik­flä­chen, aber in wohl­tu­en­der Zurück­hal­tung. Die 60er Jahre zeig­ten den kühl elegan­ten Ratio­na­lis­mus des dama­li­gen Senats­bau­di­rek­tors Werner Dütt­mann. Deut­lich sicht­bar stan­den die Statio­nen Blasch­ko­al­lee und Parchi­mer Allee in der Tradi­tion des späten Mies van der Rohe.

Ende der 60er Jahre erhielt die Berli­ner U‑Bahnplanung mit dem Archi­tek­ten der Bauver­wal­tung Rainer Gerhard Rümm­ler eine neue zentrale Figur. Für die Gestal­tung der Bahn­höfe bedeu­tete das einen Wende­punkt. Während sich Gren­an­der in seinem Lebens­werk um den Verzicht auf das Orna­ment bemühte und präzise alles Unwe­sent­li­che aus den Bahn­hö­fen verbannte, wollte Rümm­ler alle Errun­gen­schaf­ten an Klar­heit und Über­sicht­lich­keit durch seinen Willen zur Deko­ra­tion erset­zen.

Es begann in den 1970er Jahren mit dem Bahn­hof Fehr­bel­li­ner Platz, der das zeit­ge­nös­si­sche Formen­re­per­toire voll ausschöpfte. Von hier zum Rathaus Span­dau kann man bis heute Bahn­höfe ganz unge­wöhn­li­cher Art besu­chen. Die schlichte farbig glasierte Wand­ke­ra­mik eines Gren­an­der geriet zu einer wilden Orna­men­tik, zwischen der auch das geübte Auge den jewei­li­gen Stati­ons­na­men nur schwer zu entzif­fern vermag. Aus elegan­ten Stahl­stüt­zen wurden meter­di­cke Elefan­ten­füße, zwischen denen für den Fahr­gast wenig Platz auf dem Bahn­steig bleibt. Aus den zier­li­chen Licht­ka­pi­tel­len entwi­ckel­ten sich deko­ra­tive Zuta­ten, bei denen die Beleuch­tung allen­falls noch Alibi­funk­tion einnimmt.

Den glei­chen Gestal­tungs­drang kann man bei den ober­ir­di­schen Zugangs­bau­wer­ken und den Entlüf­tun­gen im Totem­stil bewun­dern. Der Bezug zum Ort als Kennung der Station erfolgte eher wört­lich: An der Station Rohr­damm etwa finden wir Rohre als Wand­or­na­men­tik, an der Station Paul­stern­straße thro­nen riesige stern­för­mige Gebilde auf dicken stum­me­li­gen Stüt­zen. Diese Art der Gestal­tung hat ihre theo­re­ti­sche Begrün­dung in der Posi­tion der Post­mo­derne. Die Verlän­ge­rung der U8 war Rümm­lers letz­tes Werk in gewohn­tem Stil.

In der künf­ti­gen Berli­ner Verkehrs­ar­chi­tek­tur soll ihre kultu­relle Bedeu­tung wieder erkenn­bar werden. Auf dem Stand heuti­ger Tech­nik kann wieder an das Niveau eines Gren­an­der ange­knüpft werden. Paul Wittig schrieb 1922 in “Die Archi­tek­tur der Hoch- und Unter­grund­bahn in Berlin”: “Stadt­schnell­bah­nen in ihrer verschie­den­ar­ti­gen Gestal­tung sind eine bedeut­same Erschei­nung im Bilde der Groß­städte. Sie sind als Kultur­äu­ße­run­gen anzu­se­hen, die in bemer­kens­wer­ter Weise die charak­te­ris­ti­schen Züge ihrer Zeit tragen. So wird sich aus der Gesamt­an­lage solcher Bahnen erse­hen lassen, inwie­weit sie die Anfor­de­run­gen der Stadt­bau­kunst erfül­len, während ihre konstruk­tive Durch­ar­bei­tung den jewei­li­gen Stand der Inge­nieur­kunst kenn­zeich­nen wird.” Damit sind die Maßstäbe formu­liert.

Martin Sauer­zapfe (FOYER)

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