Urlaub in der DDR

Viel Arbeit, wenig Geld, also auch wenig Urlaub. Das ist mein Schick­sal, aber ich trage es mit Demut und freue mich, dass ich es wenigs­tens einmal im Jahr für drei bis vier Tage raus aus Berlin schaffe. Dabei bleibe ich meist in Deutsch­land, höchs­tens die grenz­na­hen Gebiete in Polen und Tsche­chien kommen noch infrage.
Auch dies­mal blie­ben wir hier — und lande­ten doch in einem ande­ren Land, obwohl es das längst nicht mehr gibt. Es ist schon erstaun­lich, wieviel DDR es auch 19 Jahre nach ihrem Ende noch gibt, und das ist weder posi­tiv, noch nega­tiv gemeint. Ich kannte die DDR als West­bür­ger in den 80er Jahren ganz gut, weil ich für meine Firma jede Woche dort war, manch­mal auch mehrere Tage oder Wochen am Stück. Die Hyste­rie um diesen eins­ti­gen Staat kann ich deshalb auch nicht ganz verste­hen, weder die abso­lute Ableh­nung, noch die Glori­fi­zie­rung.

In guter ostdeut­scher Tradi­tion haben wir uns einen Camping­platz an einem bran­den­bur­ger See gesucht, um unsere Feri­en­tage dort zu verbrin­gen. Die Ucker­mark hat ja nicht viel Inter­es­san­tes zu bieten, doch manche Gegen­den sind wirk­lich schön.
Wenn man über die Dörfer fährt, sieht man immer noch die alten Männer mit Hut in ihre Trabis stei­gen oder ihre Frauen, die in den Kunst­stoff­schür­zen an der Haus­tür stehen und die Frem­den genau beob­ach­ten. Die Orte sind heute freund­li­cher, die Stra­ßen befahr­ba­rer als noch vor 20 Jahren und die Städte bunter — vor allem durch die viele Werbung, aber auch, weil viele Haus­fas­sa­den endlich verputzt und ange­stri­chen wurden.

Doch nicht alles, was außen hui ist, setzt sich so innen fort. Da weht manch­mal noch der Geist des “Plat­ziert­wer­dens” durch die Gast­stät­ten. Der Betrei­ber des Garten­lo­kals neben dem Bade­strand hat noch das alte Service­be­wusst­sein in die neue Zeit herüber geret­tet, das die Kunden als lästi­ges Übel betrach­tet und ihn selbst als Herr­scher über den Gast­raum. Allzu forsches Nach­fra­gen nach einem Tisch oder einem Kaffee wurde sofort mit unfreund­li­chem Geme­cker nach dem Motto “Ham wa nich!” gekon­tert. Die Begeg­nung von drei verschie­de­nen Leuten mit diesem Vertre­ter der unan­ge­neh­men Sorte verlie­fen alle­samt gleich. Trotz guten Willens und leerem Bauch kam es in keinem der Fälle zu einem Geschäfts­ab­schluss, das Essens­geld landete in der Kasse der Konkur­renz.

Inter­es­sant war auch die Zusam­men­kunft der beiden deut­schen Kultu­ren am Strand. Zwar waren alle Erwach­se­nen beklei­det, wenn auch manch­mal mini­mal und einige Ost-Damen ohne Bikini-Ober­teil. Als jedoch ein etwa 8‑jähriges Mädchen nackt zum See kam, fühlte sich ein aus dem alten Westen stam­men­des Ehepaar genö­tigt, einzu­grei­fen. Die beiden waren nicht älter als Mitte Zwan­zig und forder­ten in nicht über­hör­ba­rem schwä­bi­schen oder badi­schen Dialekt die Mutter des Kinds auf, ihm “gefäl­ligst” etwas anzu­zie­hen. Nun weiß man ja, dass es in der DDR gerade an den Bade­seen üblich war, dass die Urlau­ber oft unbe­klei­det herum­lie­fen — nicht nur die Kinder, sondern auch die Erwach­se­nen. Das hat sich mitt­ler­weile geän­dert, auch an “meinem” Strand gab es keine nack­ten Erwach­se­nen. Aller­dings zogen sich manche ganz offen und unbe­küm­mert zwischen allen ande­ren um, letzt­end­lich weiß sowieso jeder, wie der/die Andere “darun­ter” aussieht. Mich erin­nerte das an ein Erleb­nis von vor 25 Jahren, als sich ein West-Ehepaar bei einem Bade­meis­ter an der Ostsee über die Nack­ten beschwer­ten. Nach einer Stand­pauke von ihm verzo­gen sich die beiden. Vorges­tern am Ucker­see wurden sie statt­des­sen von den ande­ren Baden­den ausge­lacht. Und zogen eben­falls ab, wahr­schein­lich über die scham­lo­sen Ossies schimp­fend.

Sehr schön auch war am Eingang des Zelt­plat­zes die Tafel, auf der darauf hinge­wie­sen wurde, dass Bürger der DDR für eine Über­nach­tung 70 Pfen­nige zu zahlen haben, Auslän­der dage­gen 7,50 Mark. Wenn jemand ohne “Zelt­ge­neh­mi­gung” erwischt wurde, war das Zehn­fa­che fällig. Und das alles auf Anwei­sung des DDR-Innen­mi­nis­te­ri­ums.

Das High­light aber fanden wir in der nahen Kauf­halle. Hier stan­den gleich vorn an der Kasse stapel­weise Glüh­bir­nen aus DDR-Produk­tion. Die Kartons der Narva-Lampen hatten noch den Aufdruck für den Einheits­ver­kaufs­preis M 1,75. Ein ande­rer Betrag stand nicht dabei.  Leider hatten wir keine DDR-Mark dabei, glück­li­cher­weise wurde aber auch Valuta in Form von Euro akzep­tiert.

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4 Kommentare

  1. Schwa­ben und Badenser sollen doch zu Hause blei­ben, wenn sie mit den kultu­rel­len Eigen­schaf­ten der Regio­nen nicht klar­kom­men.
    Das kann man auf der ganzen! Welt beob­ach­ten. Sogar in Berlin sind diese Bevöl­ke­rungs­stämme pein­lich.

    Eigent­lich dachte ich, dass das “Das hamma nich” und ist “aus” sei inzwi­schen ausge­stor­ben. :-)

  2. Diese Über­bleib­sel der Frei­kör­per­kul­tur find ich immer wieder klasse. Schade, daß es das im Normal­fall nicht mehr gibt.
    Ich geh aber heut auch noch nur „oben ohne“ zum baden. Was ande­res kommt da gar nicht in die Tüte! :)

  3. irgend­wie sind wir im westen, zumin­dest bei uns hier im Rhein-Mosel-Raum, eh so zuge­knöpft gewor­den.

    Wann kann man denn mal nen nacki­schen Männer­ober­kör­per sehen, doch höchs­tens noch bei den Dach- und sons­ti­gen out-door-Arbei­tern. Aber das einer oben ohne auf der Straße den Wagen poliert, mit den Nach­barn quatscht oder so, das sieht man kaum mehr, oder täusch ich mich?

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