In der Fichtestraße in Kreuzberg, zwischen Hasenheide und Urbanstraße, stößt der Passant auf ein recht merkwürdiges Bauwerk: Kreisrund, 21 Meter hoch, 55 Meter Durchmesser und ein Stahlgitter, das einmal das Dach gewesen ist. Der Zweck dieses seltsamen Gebäudes erschließt sich nicht sofort, viele Berliner erinnert es aber an einen Gasbehälter, wie es in der Stadt heute noch zwei gibt (in Schöneberg und Mariendorf). Tatsächlich war der “Fichtebunker” im ersten Leben tatsächlich ein Gasometer.
1874 bis 1876 errichtet, verschwand die Nutzung hinter der gemauerten Fassade. Das Besondere an diesem Bau war, dass die Kuppel bereits am Boden montiert wurde und mitsamt dem Mauerwerk in die Höhe gezogen wurde. Der Gasometer war zusammen mit drei anderen auf diesem Gelände eine Zweigstelle der Kreuzberger Gasanstalt, die ursprünglich von einer englischen Firma betrieben ihren Sitz an der Stelle des heutigen Prinzenbades hatte. Die “Filiale” in der Fichtestraße diente zur Versorgung der gasbetriebenen Straßenbeleuchtung. Doch nach und nach wurde diese auf Strom umgestellt, so dass der Gasometer in den zwanziger Jahren seine Funktion verlor und jahrelang leer stand.
Das zweite Leben begann 1941 mit dem Umbau zum Luftschutzbunker. Die bestehenden Wände und Decken wurden innen mit bis zu drei Meter dickem Beton verstärkt, vor allem Familien durften den Bunker bei Fliegeralarm betreten. In den 750 Räumen konnten mehrere tausend Mütter mit ihren Kindern untergebracht werden, gegen Ende des Krieges suchten hier bis zu 30.000 Menschen Schutz vor den Bomben. Skurril mutet dabei an, dass im Kellergeschoss sogar Zellen eingerichtet wurden, damit von der Polizei Festgenommene untergebracht werden konnten. Trotz des massiven Beschusses überstand der Fichtebunker den Weltkrieg nahezu unbeschädigt.
Direkt im Anschluss kam das dritte Leben, diesmal als Obdachlosenasyl und Flüchtlingslager, zeitweise sogar als Altenheim. Doch aufgrund der mangelnden Hygiene musste das Gebäude1963 für die Unterbringung von Menschen gesperrt werden.
Im vierten Leben diente der Ex-Bunker dem West-Berliner Senat als Lager für seine Lebensmittel-Reserven. Diese Lager sind nach der Berlin-Blockade überall in der Stadt angelegt worden, erst 1990 wurden sie geräumt und abgeschafft.
Seitdem stand der Fichtebunker leer. Es gab immer wieder mal Pläne, dem Gebäude eine neue Nutzung zu geben, unter anderem als Hotel, Jugendklub oder als Theater. Doch die immensen Kosten, die ein Umbau mit sich bringen würde, machten alle diese Konzepte zunichte. Allein die Entfernung der Betonwände und Decken würde mehrere Millionen Euro kosten, zuviel für solche Initiativen.
Und deshalb wurde dem Fichtebunker das fünfte Leben auch von einem Investor eingehaucht, der offenbar ausreichend Geld flüssig hatte. Seit einigen Jahren geben nun Lofts und Eigentumswohnungen — auch unter einer Glaskuppel — ein paar Menschen ein Zuhause, die sich schickes und außergewöhnliches Wohnen leisten können. Ob denen bewusst ist, an welch geschichtsträchtigem Ort sie ihren Prosecco trinken?
Foto: Lienhard Schulz, CC BY 2.5
Schönes Neues Jahr
Ich gönne Dir und den Bewohner des Bunkers den Prosecco … :-). Zum Wohle …!
Bunkerbesichtigungen und ‑führungen sind immer wieder möglich über Berliner Bunkerwelten. Als Kinder haben wir dort auch viel gespielt und einmal hatte ich einen Tagesjob, Teile der gelagerten Senatsreserve auszutauschen…