Ich habe meine Kindheit und Jugend im großen Feder-Haus zwischen Brunnenstraße und Elsässer Straße [heute Torstraße] verbracht, als Tochter des Rechtsanwalts Dr. Buchholtz, der dort im 2. Stock Praxis- und Wohnräume hatte. Im 3. Stock wohnte meine Großmutter Anna Buchholtz, die seit Jahren im ersten Drittel der Brunnenstraße auf der linken Seite ein Bekleidungs- und Wollwarengeschäft betrieb, das bei den Bombenangriffen restlos zerstört wurde. Im 4. Stock wohnte übrigens Professor Dr. Brill, der Bruder meiner Großmutter. Da ich den gesamten Krieg dort miterlebt habe (ich war auch nicht evakuiert, da ich eine Privatlehrerin hatte) sind mir die Entwicklungen völlig vertraut.
An der Breitseite am Rosenthaler Platz war im Erdgeschoss links (Eckladen) die Tabakwarenhandlung. Daneben nicht die Buchhandlung (die kam erst nach dem Krieg), sondern die Commerzbank mit dem Tresorraum, wo wir unsere Wertsachen hatten, so dass die Russen sie 1945 wohlgeordnet und sortiert mitnehmen konnten.
Im ersten Stock wurde das Feder-Geschäft (Bekleidung) geführt, wohl unter “arischer” Leitung. 1945 erinnere ich die Plünderung, Menschenmassen brachen die Türen auf und holten alles aus dem Geschäft, indem man teilweise die Pullover und Mäntel dreifach übereinander zog.
Wir hatten in den letzten Kriegstagen, da mein Vater als Offizier seine Praxis nicht mehr führen konnte, Herrn Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Liebknecht (Sohn des SPD-Liebknechts und Bruder von Karl Liebknecht) in unsere Praxisräume aufgenommen mit seinem Team. Dieser Umstand hatte meinen Eltern zur Nazi-Zeit Ärger, zur Russen-Zeit aber Nachsicht gebracht. Sobald die Russen erfuhren, wer in unserem Büro arbeitete, waren sie begeistert und ließen uns in Ruhe.
Der alte Dr. Liebknecht war allerdings alles andere als ein Kommunist. Das veranlasste die Ostzonenverwaltung (Ostberliner Magistrat), ihn eines Tages vor die Wahl zu stellen: Umziehen nach Ostberlin oder seine Villa in Zehlendorf behalten und Praxis beschlagnahmen. Er entschied sich für sein Haus und durfte am selben Abend außer seinen Akten nichts mitnehmen aus seinem Büro. Am nächsten Tag kamen drei junge Ostanwälte (die übrigens total reizend waren) und übernahmen das Büro. Meines Wissens haben sie es zur Wendezeit noch geführt.
Die Germania-Apotheke war nicht an ihrem jetzigen Platz, sondern auf der linken Seite der Lothringer Straße [Torstraße] zwischen Platz und Postamt. Sie wurde dort wohl ausgebombt. Der Inhaber war Max Butke. An dem jetzigen Ort war die Dresdner Bank. Dort hatte meine Großmutter ihre Wertsachen auch gut geordnet, so dass die Russen alles mitnehmen konnten. Außerdem war in der Lothringer Straße das Blumengeschäft Kittbach, das auch wegen Bombenschäden verlegt wurde, rechtsseitig. Das letzte Haus vor Walhalla beherbergte die Kohlenhandlung Hesse im Keller, die noch mit Pferdewagen auslieferten. Die Pferde wurden in einer Brandnacht, als alles in Flammen stand, bei uns im Hof untergestellt.
Übrigens das ganze Feder-Haus, also unser Wohnhaus, war ein sehr hübsches Bürgerhaus mit einer großen schmiedeeisernen Tür (nach dem Krieg verschwunden), einem Hinteraufgang für das Personal, der zu den Küchenbalkonen führte (heute alles abgerissen), einem schönen Fahrstuhl, der von dem Hausmeister Remling geführt wurde. Herr Remling lehnte es zu meinem Leidwesen ab, Kinder ohne Erwachsene zu transportieren. Übrigens starb er während des Kampfes um Berlin in unserem Keller und lag tagelang nebenan in einem Kohlenkeller, weil niemand bei dem Beschuss gewagt hatte, ihn zum Friedhof zu fahren.
Anneliese Lau
Ich habe gerade ihren Artikel gelesen und bin begeistert. Ich arbeite als Filmregisseur und Produzent gerade an einem langen Dokumentarfilm über das Wunderkind Sioma Zubicky (geb.1926). Sioma war ein Zirkuskind und Xylophon-Virtuose. Er lebte mit seinen Eltern nicht nur in Zirkuswagen, sondern sie hatten auch einen festen Wohnsitz in Berlin (bis 1933) in der Lothringer Str. 40. Sioma war mit Günther Fink befreundet, der mit seinen Eltern im gleichen Mietshaus wohnte. Vom Fenster konnte Sioma in den Hof einer Grundschule blicken. Der Vater von Günther Fink war Tapezierer von Beruf , verdiente aber auch Geld mit dem liefern von Möbeln (meist im Ziehkarren).