„Feigheit vor dem Feind“

Immer wieder stößt man in Berlin auf Orte oder Dinge, die man dort nicht erwar­tet. Eines dieser Dinge ist ein Verkehrs­spie­gel, ange­bracht am Beginn eines Wald­wegs an der Glocken­turm­straße in Char­lot­ten­burg. Dort hinter der Wald­bühne führt ein Weg in die Murel­len­schlucht, dem Schan­zen­wald, an dessen ande­rem Ende die Sied­lung Ruhle­ben liegt. Der hier ange­brachte Verkehrs­spie­gel hat keine Funk­tion, jeden­falls nicht für den Stra­ßen­ver­kehr. Wer ihn sich genauer betrach­tet, sieht darin eine Inschrift. Und weiter hinten im Wald einen weite­ren Spie­gel.

Aufmerk­sam gewor­den geht man hinein, wird von der Neugier hinein­ge­zo­gen. Immer mehr dieser Verkehrs­spie­gel stehen am Weges­rand, immer tiefer geht man in die Bota­nik und wundert sich, denn sie sind hier völlig deplat­ziert und haben schein­bar keinen Sinn.

Je weiter man geht, umso enger stehen die Spie­gel, schließ­lich ist man von ihnen umringt. Mit Laser ist die Erklä­rung in einige der Schei­ben eingra­viert. Es handelt sich hier um ein Denk­zei­chen. Dieser Ort am Murel­len­berg war während der NS-Zeit eine Hinrich­tungs­stätte der Nazi­jus­tiz. Deser­teure, soge­nannte Wehr­kraft­zer­set­zer oder Ange­klagte wegen „Feig­heit vor dem Feind“ wurden hier stand­recht­lich erschos­sen. Es ist nicht sicher, wieviel Solda­ten an diesem Ort ermor­det wurden, 230 sind nament­lich nach­weis­bar, Zeit­zeu­gen berich­ten sogar von mehr als Tausend.

Im Jahr 2002 hat die Künst­le­rin Patri­cia Pisani dieses Denk­mal aufge­stellt. Die 104 Spie­gel sollen symbo­li­sie­ren, dass um die Ecke etwas passie­ren kann, „eine Gefahr oder eine Bedro­hung, die sich an einer unüber­sicht­li­chen Stelle mögli­cher­weise nähert, aber noch nicht zu sehen ist.“ Auf jeden Fall ist man irri­tiert, weil diese Gegen­stände in einer Umge­bung stehen, in der sie völlig fremd sind.

Wie oft in der Kunst kann man unter­schied­li­cher Meinung sein, wie gelun­gen dieser Denk­ort ist. Unge­wöhn­lich ist er aber auf jeden Fall. Und bisher leider auch noch ziem­lich unbe­kannt.

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