Kein Tag der Befreiung

Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel bei der Unterzeichnung der Kapitulations-Urkunde

Der kommende Frei­tag ist bundes­weit ein Feier­tag. Einma­lig nur, denn es ist der 75. Jahres­tag der offi­zi­el­len Kapi­tu­la­tion Nazi-Deutsch­lands vor den Alli­ier­ten. In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai wurde die Urkunde der Kapi­tu­la­tion in Karls­horst unter­schrie­ben. In deut­scher Zeit war es der 8. Mai. Da hier damals aber kurz­zei­tig Moskauer Zeit herrschte, feiern die Russen den Tag am 9. Mai.

Mit der Unter­zeich­nung war der 2. Welt­krieg in Europa vorbei. Welt­weit noch nicht, da wurde er erst nach den Atom­bom­ben von Hiro­shima und Naga­saki been­det. Was für ein Glück für uns, dass diese Bombe noch nicht im Früh­jahr 1945 einsatz­be­reit war!

40 Jahre nach Kriegs­ende sprach der dama­lige Bundes­prä­si­dent Richard von Weiz­sä­cker im Bundes­tag am 8. Mai vom “Tag der Befrei­ung”. Aber war es das wirk­lich, ein Tag der Befrei­ung? Kommt drauf an.

Für viele Deut­sche war die Kapi­tu­la­tion eine Nieder­lage, ein Zusam­men­bruch, eine Kata­stro­phe. Viele glaub­ten an die Nazi-Ideo­lo­gie, den Rassen­wahn, die Kriegs­hetze. “Der Russe” blieb der Feind, vermut­lich die meis­ten Menschen hatten Angst vor ihm. Nicht nur die über­zeug­ten Natio­nal­so­zia­lis­ten. Der Kommu­nis­ten­hass blieb noch Jahr­zehnte lang­be­stehen.

Dass ein deut­scher Präsi­dent die Kapi­tu­la­tion als Befrei­ung bezeich­net, ist merk­wür­dig. Natür­lich wurden Menschen befreit: Die Jüdin­nen und Juden, die den Faschis­mus im Unter­grund oder auch im Konzen­tra­ti­ons­la­ger über­lebt haben. Die Anti­fa­schis­ten, die zwölf Jahre lang den Kopf einge­zo­gen haben. Und manche von ihnen, die im Alltag Wider­stand geleis­tet haben. Die Millio­nen Zwangsarbeiter*innen, die in Deutsch­lands Fabri­ken für die Kriegs­in­dus­trie arbei­ten muss­ten. Und die vielen Länder, die von der Wehr­macht über­rollt, besetzt und teil­weise zerstört worden waren.

Doch der Groß­teil der deut­schen Bevöl­ke­rung wurde nicht befreit, denn die Mehr­heit von ihnen hatte im März 1933 bewusst die NSDAP gewählt. Schon am 30. Januar war Adolf Hitler zum Reichs­kanz­ler ernannt worden. In diesen fünf Wochen haben die Nazis über­deut­lich gezeigt, was sie für eine Poli­tik machen: Die KPD verbo­ten, Juden und Anti­fa­schis­ten zu Tausen­den auf den Stra­ßen zusam­men­ge­schla­gen, viele in SA-Kellern ermor­det, die Grund­rechte stark beschnit­ten, das erste KZ eröff­net. Die Wahlen am 5. März wären die letzte Möglich­keit gewe­sen, zumin­dest ein Versuch, die NSDAP parla­men­ta­risch noch­mal zurück­zu­drän­gen. Statt­des­sen aber erhielt sie 43,9 Prozent der Stim­men, zusam­men mit der verbün­de­ten “Kampf­front Schwarz-Weiß-Rot” war das die abso­lute Mehr­heit.

Es gab 1933 keine “Macht­er­grei­fung”, es war eine Macht­über­gabe! Erst im Januar durch den Reichs­prä­si­den­ten Paul von Hinden­burg, dann bei den März-Wahlen durch die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung. Diese Bevöl­ke­rung wurde 1945 nicht befreit, sondern besiegt.

Wenn man heute vom Tag der Befrei­ung spricht, ist das eine Form der Geschichts­fäl­schung. Es steht in einer Reihe mit der Verharm­lo­sung, die schon 1945 begann. Nach dem Motto “wir haben ja nichts gewusst”, “man konnte ja nichts machen”. Schon während der Nürn­ber­ger Prozesse wurden nur wenige aus der NS-Führung verur­teilt. Dem riesi­gen Rest der akti­ven und passi­ven Täter, der Mitläu­fer, der Wegschauer, wurde verge­ben. Es war plötz­lich die “Stunde Null”, das Davor inter­es­sierte nicht mehr. Nur deshalb kann man auch von Befrei­ung spre­chen, wenn man ja selber angeb­lich keine Schuld hatte.

Aber doch, die deut­sche Bevöl­ke­rung hatte zu einem großen Teil Schuld, weil sie die Nazis bewusst gewählt hat! Und als ihnen dann ein paar Jahre später die alli­ier­ten Bomben um die Ohren flogen, haben sie alles auf Hitler gescho­ben, der sie ja verführt hätte. Mit dem Begriff der Befrei­ung begna­dig­ten sich die Deut­schen selber. Wie prak­tisch. Und wie verlo­gen.

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3 Kommentare

  1. Danke Aro. Ich empfinde es genau so. Jede Doku­men­ta­tion im Fern­se­hen, welche die Qualen der deut­schen Bevöl­ke­rung im Bomben­krieg oder in der furcht­ba­ren Nach­kriegs­zeit beschreibt verklärt diese Schuld noch immer. Die arme deut­sche Bevöl­ke­rung in Dres­den in Ostpreu­ßen oder sonstewo. Auf der Flucht vor den bösen Russen. Noch immer wird in unse­rem Land zu gerne die Täter-Opfer-Umkehr oder sogar wieder zuneh­mend die Leug­nung der Geschichte betrie­ben. Gruse­lig.

  2. Zuerst habe ich gedacht, wieder so ein verharm­lo­sen­der Text. Ist er zum Glück nicht. Auf jeden fall eine inter­res­sante Sicht­weise!

  3. Ich sehe das anders. Was du schreibst stimmt zwar für die meis­ten Deut­schen, aber der Rest Euro­pas und natür­lich die Zwangs­ar­bei­ter und andere wurden natür­lich befreit.

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