Lobbyistin statt Senatorin

Ich bin Auto­fah­rer. Seit über 30 Jahren schon, die meiste Zeit davon hatte ich auch ein eige­nes Auto, immer ein recht klei­nes Modell. Es reichte. Ich nutze es für größere Einkäufe, zum Trans­port mehre­rer Leute, lange Stre­cken und Ausflüge.

Ich bin auch Fahr­rad­fah­rer. Seit meiner Kind­heit habe ich immer ein Rad beses­sen und benutzt. Inner­halb meines Bezirks fahre ich fast nur mit dem Fahr­rad, öfters auch weitere Stre­cken. Und bis heute fahre ich mehr mit dem Fahr­rad, als mit dem Auto.

Längere Zeit habe ich in Kopen­ha­gen gelebt. Dort habe ich erfah­ren, wie Auto- und Fahr­rad­ver­kehr prima neben­ein­an­der­her exis­tie­ren können. Ohne Aggres­si­vi­tät, ohne An-den-Rand-drän­gen, ohne Ange­hupe. Selten, dass ein Radfah­rer sich nicht an die Regeln hält, bei Rot über die Kreu­zung jagt oder Fußgänger*innen fast über den Haufen fährt.
Auto­fah­rer und Radfah­rer sehen sich gegen­sei­tig nicht Feinde, entspre­chend entspannt fährt es sich dort.

Wie anders ist die Situa­tion in Berlin. Jahr­zehnte lang galt das Auto als Maß aller (Verkehrs-)Dinge. Für die „auto­ge­rechte Stadt“ wurden breite Schnei­sen geschla­gen, man schaue sich die Bundes­al­lee an, Karl-Marx-Allee, Leip­zi­ger Straße, Bismarck­straße und Kaiser­damm. Im Westen der Stadt schlug man viele Kilo­me­ter Auto­bahn quer durch Wohn­vier­tel, mehrere Kieze wurden zerschnit­ten.

Fahr­rad­wege wurden als 60 Zenti­me­ter breite Markie­run­gen auf den Bürger­stei­gen ange­legt, selten auch mal auf der Straße. Eigene Tras­sen waren die abso­lute Ausnahme. Wer in Berlin – egal ob West oder Ost – mit dem Fahr­rad fuhr, musste uner­schro­cken sein und sich durch­set­zen können. Leider ist das an vielen Stel­len bis heute so.

Seit die Grünen vor vier Jahren in die Koali­ti­ons­re­gie­rung kamen, gibt es das Bestre­ben, die Rechte der Radfahrer*innen zu stär­ken und ihnen mehr und siche­ren Platz auf der Straße zu verschaf­fen. Das ist auch abso­lut notwen­dig. Zustän­dig dafür ist ihre Sena­to­rin Regine Günther. Und damit leider eine Frau, der es nicht um die Gleich­be­rech­ti­gung im Stra­ßen­ver­kehr geht. Günther macht eine Poli­tik, die rein auf das Fahr­rad ausge­legt ist, wie eine Lobby­is­tin. Selten, dass mal etwas wirk­lich Sinn­vol­les von ihr kommt, wie z.B. die Popup-Radwege in den vergan­ge­nen Mona­ten. Wobei einige von denen offen­bar ohne Nach­den­ken ange­legt wurden, so dass z.B. zahl­rei­che Geschäfte in der Kant­straße nun kaum noch belie­fert werden können und Taxis in weiten Teilen der Straße keine Fahr­gäste mehr aufneh­men oder ausstei­gen lassen dürfen.

Andere Maßnah­men und Forde­run­gen gehen aber noch weit darüber hinaus und da zeigt sich Günther als Funda­men­ta­lis­tin. Als Verkehrs­se­na­to­rin muss sie auch die Inter­es­sen der 1,3 Millio­nen Autofahrer*innen berück­sich­ti­gen, statt­des­sen aber wird mit der Fried­rich­straße ohne Not eine wich­tige Nord-Süd-Verbin­dung still­ge­legt, was tags­über in den Ausweich­stra­ßen zur Folge hat, dass man dort kaum noch durch kommt. Gestern gab sie bekannt, dass sie inner­halb des S‑Bahn-Rings ab dem Jahr 2030 keine Fahr­zeuge mit Verbren­nungs­mo­tor mehr akzep­tie­ren will. Menschen wie ich, die sich leider kein Elek­tro­auto leis­ten können, werden dadurch faktisch enteig­net oder aus der Innen­stadt vertrie­ben. Auch die vorge­schla­gene City-Maut von monat­lich rund 200 EUR geht in diese Rich­tung. Frau Günther meint offen­bar, dass nur noch Besser­ver­die­nende mit dem Auto fahren dürfen.

Es gab mal eine Zeit, in der sich die Grünen als Verbots­par­tei gene­riert haben. Das ist ihnen schlecht bekom­men, denn eine Entmün­di­gung der Bürger*innen nehmen diese ihnen übel. Auch ich habe die Partei schon gewählt, als sie noch Alter­na­tive Liste hieß. Dies aber ist jetzt vorbei.

Die AFD will verkehrs­po­li­tisch zurück in die 1950er Jahre, Regine Günther offen­bar in die 1850er. Durch ihre extre­mis­ti­schen Ansich­ten und Forde­run­gen verhin­dert sie jedoch, dass man sich mit dem berech­tig­ten Anlie­gen ausein­an­der­setzt. Eine Stadt für gleich­be­rech­tigte Verkehrsteilnehmer*innen zu schaf­fen bedeu­tet nicht, einen Teil von ihnen zu dissen. Günther ist damit näher an der AFD, als ihr recht sein dürfte. Beide pola­ri­sie­ren, beide diffa­mie­ren, nur von verschie­de­nen Stand­punk­ten aus. Aber beide stre­ben keine Gleich­be­rech­ti­gung an, kein Mitein­an­der.

Regine Günther ist eine reine Lobby­is­tin gegen den Auto­ver­kehr. Sie versucht ihn nicht mit sinn­vol­len Maßnah­men wie z.B. in Kopen­ha­gen zu regeln und zu dezi­mie­ren, sondern strebt offen­bar ein Verbot an. Damit erklärt sie etwa die Hälfte der Berliner*innen zu ihren Fein­den, die es zu bekämp­fen gilt. Sie und ihre Partei spal­ten so die Gesell­schaft ein weite­res Stück. Dabei verzich­tet sie selbst­ver­ständ­lich nicht auf einen eige­nen Dienst­wa­gen.
Ich jeden­falls werde diese Partei ganz sicher nicht mehr wählen.

Foto: Stephan Röhl for Hein­rich Böll Stif­tung, CC BY-SA 2.0

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2 Kommentare

  1. Moin, moin,
    als regel­mä­ßi­ger Berlin­be­su­cher kann ich bestä­ti­gen, dass es im Stra­ßen­ver­kehr selten ein part­ner­schaft­li­ches Mitein­an­der gibt. Ich konnte aggres­sive Radler erle­ben, für die Ampeln und andere Regeln schein­bar maxi­mal Empfeh­lungs­cha­rak­ter haben. Ich erlebte Busfah­rer die auf den Strei­fen für Radler/Busse und Taxen eine arme Radle­rin fast anscho­ben und schließ­lich mit Dauer­hu­pen zum Auswei­chen auf den Bürger­steig nötig­ten. Auch Fußgän­ger sind keine Engel.
    Für mich ist es aller­dings Fakt, wenn ich im beeng­ten Raum der öffent­li­chen Verkehrs­flä­chen ein Verkehrs­mit­tel wie das Fahr­rad besser schüt­zen und die Wege attrak­ti­ver machen will, geht das zu Lasten der ande­ren Verkehre. Niemand lässt sich aber gerne etwas wegneh­men. Die Konflikte sind also vorher­seh­bar.
    Jetzt male ich mal naiv eine Bild, in dem Quar­tiere zum Verwei­len einla­den, frei oder fast frei von Abga­sen. Radler und Fußgän­ger teilen sich die Stra­ßen mit den weni­gen E‑Mobilen. Das macht doch dann auch wieder Lust auf Einkau­fen.
    Ob das schon 2030 umsetz­bar ist, bezweifle ich auch, aber grund­sätz­lich müssen wir eben nicht nur fürs Klima sondern auch für die Lebens­qua­li­tät in den Städ­ten ganz massiv umden­ken und zunächst wohl auch umlen­ken ggfs. verbie­ten.
    Hier denkt man mitt­ler­weile daran, schlie­ßende Kauf­häu­ser in Innen­städ­ten zu Wohn­raum zu verwan­deln. Das braucht auch andere Verkehrs­lö­sun­gen.
    Gruß Frank

  2. Hallo Aro,

    erst jetzt habe ich deinen Arti­kel gele­sen und stimme Dir ganz und gar zu. Es ist wirk­lich schlimm, dass unsere Poli­ti­ker nur noch in einem — ich nenne es Wahl­kampf­mo­dus — agie­ren. Dadurch gehen sie stramm voran im Umgang mitein­an­der und sind ein echt nega­ti­ves Vorbild. Es scheint gar, dass fast alle Menschen nur noch mit jutis­ti­schem Blick durch die Welt gehen. Oder eben — gegen­tei­lig — nur noch mit dem modi­schen Blick auf ihr Handy. Ob hier oder in den USA; die Menschen aufein­an­der zu hetzen scheint die heutige allge­meine Stra­te­gie zu sein, um doch noch mit dem veral­te­ten Glau­ben an die Wachs­tums­ge­sell­schaft und der unge­rech­ten Globa­lie­rung anhän­gen zu können. Neue Ideen waren von der herr­schen Schicht schon immer verpönt und wurde noch niemals will­kom­men gehei­ßen. Leider machen es meis­tens die Gege­ner auch nicht besser. Ich erin­nere an den Berli­ner Banken­s­kan­del von Ladow­ski und Konsor­ten. Das erste was die SPD nach der Neuwahl machte war, die Garan­tien der Vorgän­ger­re­gie­rung der Bank gegen­über zu erneu­ern. Alles eine Soße, wie der Berli­ner so sagt.

    Aber Berlin hat schon immer eine völlig unfä­hige Regie­rung gewählt und bekom­men. Andere Beispiele gibt es zu hunder­ten. Was hier los ist, hat nichts mit einer Haupt­stadt zu tun. Es erin­nert eher an das letzte Provinz­kaff in Bran­den­burg… ;-)

    Aber nach 5 Jahren Regie­rungs­ver­ant­wor­tung bekom­ment man/frau immer­hin abzugs­frei die ersehnte, groß­zü­gige GRUND­SI­CHE­RUNG für Poli­ti­ker die deut­lich über der Höhe von 850 € für den Normalo liegt.. Ist doch super, oder?

    Nicht ärgern. Einfach an die Nord­see fahren und verdrän­gen. Mist. Geht ja auch nicht mehr…

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