Land unter

Am 18. März 1990 gab es zum ersten und letz­ten Mal in der DDR freie Wahlen. Im Westen war sowas ja nichts Unge­wöhn­li­ches, hier aber stan­den die Menschen vor den Wahl­lo­ka­len Schlange und disku­tier­ten mitein­an­der. Wenige Monate nach den muti­gen Leip­zi­ger Montags­de­mons­tra­tio­nen und der riesi­gen Kund­ge­bung auf dem Berli­ner Alex­an­der­platz am 4. Novem­ber, in denen die Bürger offen gegen die SED-Dikta­tur protes­tiert haben, war nun ein großer Schritt zur bürger­li­chen Demo­kra­tie getan. Ab jetzt wollte die DDR eine wirk­lich Demo­kra­ti­sche Repu­blik sein, aber das ging ziem­lich dane­ben.

Für eine demo­kra­ti­sche Zustände arbei­te­ten schon in den Jahren zuvor die Bürger­recht­ler. Sie orga­ni­sier­ten sich, veröf­fent­lich­ten Flug­blät­ter und kleine Broschü­ren, hingen Plakate auf, gaben im West­ra­dio Inter­views. Und sie muss­ten für ihre Forde­run­gen büßen, sie wurden verprü­gelt, einge­sperrt, ausge­wie­sen, manche zahl­ten sogar mit ihrem Leben. Sie forder­ten schon lange Einhal­tung der Menschen­rechte, freie Wahlen, Zulas­sung unab­hän­gi­ger Medien, Abschaf­fung der mili­ta­ri­sier­ten Kinder­er­zie­hung, unab­hän­gige Gerichte. Mit der Wende Ende 1989 began­nen sie, ihre Utopien zu verwirk­li­chen. Mit dem Neuen Forum und der Verei­nig­ten Linken berei­te­ten sie ihren Schritt in die offi­zi­elle Poli­tik vor. Es entstan­den neue Parteien, wie die Sozi­al­de­mo­kra­ten. Andere wandel­ten sich von Block­par­teien, die angeb­lich schon immer gegen die SED waren, zu lupen­rei­nen Demo­kra­ten, so die CDU oder die LDPD, die sich später der FDP anschloss. Nicht zu verges­sen die SED, die sich nun SED-PDS später nur noch PDS und noch später Links­par­tei nannte. Dane­ben entstan­den Grup­pen wie Bünd­nis 90, Demo­kra­ti­scher Aufbruch, Bund Freier Demo­kra­ten oder die CSU-nahe “Deut­sche Soziale Union”. Sie alle traten zur Wahl an, die am 142. Jahres­tag der Deut­schen Revo­lu­tion statt­fand. Im Vorfeld gab es harte Ausein­an­der­set­zun­gen, falsche und tatsäch­li­che Stasi-Mitar­beit von Kandi­da­ten wurden publi­ziert, die Parteien warfen sich gegen­sei­tig Verrat und Verkauf an die Bundes­re­pu­blik vor. Der Wahl­kampf artete manch­mal in Stra­ßen­kampf aus, auch in Leip­zig, wo ich zu dieser Zeit war.

Viele DDR-Bürger aber nahmen die Chance nicht wahr, aus ihrem Land nun eine wirk­li­che Demo­kra­ti­sche Repu­blik zu machen. Sie woll­ten nur den Luxus, den sie aus dem West-Fern­se­hen kann­ten, ohne sich Gedan­ken zu machen, wie denn ihr Land tatsäch­lich aussieht und was die Konse­quen­zen sein würden. Sie woll­ten selber Westen sein, anstatt die DDR zu stabi­li­sie­ren und neu aufzu­bauen. Offen­bar hatten sie aber nur die Werbe­sen­dun­gen gese­hen, nicht die Berichte und Repor­ta­gen über Arbeits­lo­sig­keit, Armut, Obdach­lo­sig­keit. Jeden­falls wählen sie genau dieje­ni­gen, die ihnen wie Meis­ter Prop­per eine weiße, saubere Zukunft verspra­chen. Die blühen­den Land­schaf­ten soll­ten nicht nur sauber sein, sondern rein.

So siegte am 18. März 1990 die bürger­li­che “Alli­anz für Deutsch­land”, dem Wahl­bünd­nis der eins­ti­gen Block­par­tei CDU, der DSU und des “Demo­kra­ti­schen Aufbruchs”, dessen Spit­zen­kan­di­dat Inof­fi­zi­el­ler Stasi-Mitar­bei­ter war. Die SDP, bei sich zur Wahl in SPD umbe­nannte, erhielt mit ihrem eben­falls eins­ti­gen Spit­zel Ibra­him Böhme an der Spitze knapp 22 Prozent. Immer­hin noch 16,4 Prozent bekam die einzig wahre Stasi­par­tei, die PDS.

Damals hielt nicht die Demo­kra­tie Einzug in die DDR. Nicht bei diesem Perso­nal, nicht bei diesen Parteien. 48 Prozent der Wähler hatten sich für einen Verkauf der DDR an die Bundes­re­pu­blik entschie­den. Am 1. Juli folgte die Einfüh­rung der D‑Mark, am 3. Okto­ber die soge­nannte Wieder­ver­ei­ni­gung. Weni­ger als die Hälfte der Wähler in der DDR hat der Mehr­heit diese über­has­tete “Einheit” aufge­zwun­gen, es gab dazu keine breite öffent­li­che Diskus­sion, auch kein Suchen nach einem ande­ren, eige­nen Weg, wenn auch nur für ein paar Jahre. Der Westen, vor allem die Bundes­re­gie­rung und spezi­ell Helmut Kohl, dräng­ten zu diesem Schritt. Als “Kanz­ler der Einheit” wurde er später bezeich­net, seine poli­ti­schen Freunde loben das herren­men­schen­hafte Auftre­ten bei den Brüdern und Schwes­tern, bei denen er bunte Glas­per­len verteilte. Und die Einge­bo­re­nen jubel­ten darüber, bis sie irgend­wann merk­ten, dass die gar nichts wert sind. Da war es aber schon zu spät, da war die Chance vertan, eine eigene Demo­kra­tie im eige­nen Land aufzu­bauen. Denn dieses Land hatten sie am 18. März 1990 verschenkt.

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