Früher Courbiere

Dicht beim neuen Partei­haus der SPD, das noch etwas verlo­ren an der Wilhelm­straße steht, liegt die U‑Bahn-Station Halle­sches Tor, in der Nähe die Redak­tion des Bezirks-Jour­nals. Dort steige ich in den Unter­grund, um an der Station “Wedding” wieder herauf zu kommen.
Da ist auch ein SPD-Haus. Das neue heißt nach Willy Brandt, das alte nach Kurt Schu­ma­cher, unten: Gardi­nen-Schulze. Gegen­über am Arbeits­amt flat­tert eine Euro­pa­fahne; wie Ironie: das Europa der Arbeits­lo­sen. Der Platz, an dem das hilf­lose Amt liegt, hieß seit 1897 nach Cour­biere, einem alten preu­ßi­schen Gene­ral; durch alle Staats­for­men galt: Solda­ten verge­hen, Gene­räle bestehen, bis 1995.
Rent­ner träu­men auf den Park­bän­ken, den Obdach­lo­sen geht es etwas besser, es ist Früh­ling. Ruhe­platz­straße:
schon der Name beru­higt; Plan­ta­gen­straße: der Name kann Träume wecken; an der Ecke der beiden Stra­ßen bleibe ich stehen, um das Häus­chen der Fried­hofs-Gärt­ne­rei zu betrach­ten. Es erin­nert mich an Goethes Garten­haus, Weimar, im Tale der Ilm, füllest wieder Busch und Tal.

Aber jetzt steht nicht der Mond am Himmel, sondern die Sonne, sie wärmt mir den Rücken, während ich den Fried­hof umrunde, um den Eingang in der Gericht­straße zu finden, gegen­über der streng-schö­nen Fassade des Post­amts. Durch den geschwun­ge­nen Bogen trete ich ein ins Feld des Urnen­fried­hofs, hinten das Krema­to­rium, ich möchte ihm ein Adjek­tiv geben: berühmt, das älteste, also im Entste­hen am meis­ten umstrit­tene. Krema­to­rium — das bleibt nun für alle Zeiten in Deutsch­land ein bela­de­nes Wort, da treten die ideo­lo­gi­schen Kämpfe zwischen Frei­den­kern und Chris­ten, Feuer- oder Erdbe­stat­tung ganz zurück.
Es ist nicht möglich, nicht an Ausch­witz zu denken, nicht an die Zent­ner von Asche am Grunde der Weich­sel. Dem Vorkämp­fer für Frei­den­ker­tum und Feuer­be­stat­tung Max Sievers, Opfer des Faschis­mus, enthaup­tet am 17.1.1944, steht auf einer Stele am Eingang zur Feier­halle; ich denke nach am würdi­gen Platz über das unwür­dige Verbum. Mir wird kalt ums Herz. Ich sitze eine Weile auf der Bank vor dem Eingang zur West­halle, blicke den schö­nen Schorn­stein hinauf, dessen festes Grau vor blauem Himmel steht; sein himmel-nächs­tes Stück sieht geschwärzt aus, wie von Rauch­res­ten, die die Seelen noch abstrei­fen, ehe sie entschwe­ben.

Die (wirk­lich!) edle, weiße Fassade der Schule an der Plan­ta­gen­straße und die elegante Front des rötlich-brau­nen Nach­bar­hau­ses mit den schwarz-brau­nen Marki­sen stehen hinter der Fried­hofs­mauer mit den vielen leeren Urnen­plät­zen; von dem bunt bepflanz­ten Balkon dort kann man gewiss herun­ter­se­hen auf das Aschen­ge­häuse von Eugen Gutmann: “Grün­der der Dresd­ner Bank” rufen ihm seine Kinder noch ins Nichts nach.
Dane­ben eine frische Grab­stelle, Blumen, Schlei­fen: “Vom Senio­ren­heim” und ein klei­ner Janosch-Löwe aus Stoff, viel­leicht vom Enkel­kind für den Groß­va­ter, der fort ist, viel­leicht auch der letzte Gegen­stand, der einem verwirr­ten Alten die Menschen vertrat; aber es hat immer­hin einen Menschen gege­ben, der das freund­li­che Tier­chen herge­bracht hat. Das trös­tet meine Rührung, während ich mich umwende und an die Erin­ne­rungs­stätte trete, derent­we­gen ich hier­her gekom­men bin.
An einem klei­nen Platz, in dessen Mitte eine Birke wächst; an ihren Füßen ummau­ert mit einem stei­ner­nen Wogen­mo­tiv, von Tulpen umstan­den, liegt die letzte Stätte des Ehepaars Preuß; Else 1869 bis 1948, von ihr weiß ich nichts; Hugo 28. Okto­ber 1860 bis 9. Okto­ber 1925, der erste Innen­mi­nis­ter der ersten deut­schen Repu­blik, ein Profes­sor; ein schö­nes Stück deut­scher Lite­ra­tur stammt von ihm: die Weima­rer Reichs­ver­fas­sung von 1919. Er hatte sie sich ein biss­chen anders vorge­stellt, als Fried­rich Ebert sie schließ­lich unter­schrie­ben hat, zentral­staat­li­cher, mit Öster­reich als Reichs­land und Wien als sozu­sa­gen zwei­ter Haupt­stadt, jeden­falls aber demo­kra­tisch.

Hugo Preuß, sagt ein Zeit­ge­nosse, war viel­leicht der einzige demo­kra­ti­sche deut­sche Staats­rechts-Lehrer, ein Links-Libe­ra­ler, Partei­freund Rathen­aus, Deut­sche Demo­kra­ti­sche Partei, die mit Zentrum und SPD die soge­nannte Weima­rer Koali­tion bildete. Ein Jude, wenn er ein Stück­chen länger gelebt hätte in Deutsch­land, dann wäre er viel­leicht durch den Schlot ganz ande­rer Krema­to­rien gegan­gen.
Zu denen, die Adolf Hitler ermäch­tig­ten, gehör­ten auch Leute aus Hugo Preuß, ehema­li­ger Partei, Theo­dor Heuss z.B., der erste Bundes­prä­si­dent; die Sozis sagten nein, recht­zei­tig zwar für Helden­mut, aber zu spät für Deutsch­land.
Vom Preuß-Grab kann man fast die Fens­ter sehen, hinter denen im Kunst­amt Wedding zwei Räume liegen, die auffal­len­der Weise bis 20 Uhr geöff­net sind: Es ist das in seiner Beharr­lich­keit beinahe rührende Anti-Kriegs­mu­seum; der Grün­der, in der Repu­blik mit der Hugo-Preuß-Verfas­sung 13 Mal wegen Belei­di­gung der Reichs­wehr verur­teilt, starb nach WK II als Fran­zose.

Am einfa­chen Muse­ums-Tisch sitzt eine Germa­nis­tin, die hier auf ABM arbei­tet. Ich kaufe das fast schon klas­si­sche Buch des Muse­ums-Grün­ders Ernst Fried­rich: Krieg dem Kriege, erst­mals erschie­nen 1924, jetzt fast 230.000 Exem­plare verkauft. Genützt hat es nichts: Wir Kriegs­dienst-Gegner müssen endlich … ausspre­chen: … ein vom Staat bezahl­ter Berufs­mör­der, der in staat­lich konzes­sio­nier­ten Mörder­schu­len (genannt Kaser­nen) ausge­bil­det wird …
Für solche Sätze wird man auch heute noch Opfer der Staats­an­wälte. Der Justiz­mi­nis­ter, der sich in der Nach­folge von Hugo Preuß fühlt, will eine Spezial-Straf-Norm gegen solche Wahr­hei­ten.
Aus dem Anti-Kriegs-Museum blickt man auf den Platz, der Gene­ra­tio­nen lang nach dem alten Gene­ral hieß; drin­nen steht ein Aner­ken­nungs-Schrei­ben von Willy Brandt wie eine Ikone. Ich verschwinde in der Erde, um bei Willy Brandts Haus wieder herauf­zu­kom­men, auf dem die halbrote Fahne lustig flat­tert im Früh­lings­wind.

Aus: Spazier­gänge in Berlin (1990er Jahre)

Foto: Schli­wiju, CC BY-SA 4.0

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