Antisemiten in Moabit

Moabit, Sommer 2011. In Vorbe­rei­tung auf eine Kampa­gne zur Depor­ta­tion von Juden während der Nazi­zeit laufe ich die Stra­ßen zwischen Spree und Alt-Moabit ab. Ich bin auf der Suche nach “Stol­per­stei­nen”, klei­nen Erin­ne­rungs­ta­feln, die im Bürger­steig einge­las­sen sind. Auf ihnen stehen Daten von Opfern der Nazi­herr­schaft, fast alles Juden.
Am U‑Bhf. Turm­straße liegen gleich mehrere im Boden. Während ich die Daten notiere, kommt ein Mann, spuckt demons­tra­tiv auf die Schil­der, grinst mich an und verschwin­det im Bahn­hof. Einen Moment lang bin ich sprach­los. Einen solch offe­nen Anti­se­mi­tis­mus hatte ich nicht erwar­tet.

In der Bochu­mer Straße stehe ich wieder an eini­gen Stol­per­stei­nen. Ein alter Mann, wohl türki­scher oder arabi­scher Herkunft, sitzt neben dem Eingang und betrach­tet mich inter­es­siert. Als ich gerade weiter­ge­hen will, hält er mich am Arm fest und raunt mir zu: “Gut, dass die weg sind. Das waren Juden”.
Dies­mal konnte ich wenigs­tens reagie­ren: “Ja rich­tig. Und die Mörder von damals wollen heute die Türken umbrin­gen.” Er winkt ab und geht an sein klin­geln­des Handy.

Später noch die Begeg­nung mit der alten Frau, die mit ihrem Rolla­tor in der Agri­co­la­straße an mir vorbei wackelt: “Schlimm, das alles”, sagt sie und ich stimme ihr zu. Aber sie war noch nicht fertig: “Wie lange sollen wir Deut­schen uns denn noch vorwer­fen lassen, was die Juden uns ange­tan haben?”
Mitt­ler­weile war ich rich­tig wütend. Ich schrie sie an. “Was die Juden getan haben? Sie waren die Opfer, sie wurden vergast! Die scheiß Nazis haben das getan, Deut­sche wie Sie!”
Ich weiß nicht, ob dieser Spruch gerecht­fer­tig war, aber in diesem Moment habe ich nicht darüber nach­ge­dacht. Die Frau schaute mich verächt­lich an und ging weiter.

Inner­halb von nur zwei Stun­den hab ich drei Beispiele anti­se­mi­ti­schen Denkens erlebt. Natür­lich habe ich damit gerech­net, dass jemand was sagen könnte, aber dass es so massiv sein würde, hat mich über­rascht.
Nicht unter­schla­gen will ich aber auch zwei posi­tive Reak­tio­nen. Eine Mutter erzählte ihrem etwa 10-jähri­gen Kind, wofür die Stol­per­steine da sind. Und das auf eine Weise, dass der Junge das wenigs­tens ansatz­weise verstan­den hat.
Und eine mittel­alte Dame osteu­ro­päi­scher Herkunft sprach mich in der Dort­mun­der Straße an. Sie freute sich über die geplante Kampa­gne. Ihr Groß­va­ter sei als angeb­li­cher Jude in der Ukraine ermor­det worden. Zwar war er gar kein Jude, aber sie meinte: “Ich wäre stolz darauf, eine Jüdin zu sein!”

Im Herbst wird die Kampa­gne “Sie waren Nach­barn” offi­zi­ell begin­nen. 70 Jahre nach Beginn der Depor­ta­tio­nen zeigen mir diese Erleb­nisse, dass sie noch immer wich­tig ist.

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4 Kommentare

  1. Ich bin auch immer wieder erstaunt wieviel Anti­se­mi­tis­mus es heute noch gibt. Oft sind es Leute die noch nie einen Juden kennen­ge­lernt haben. Sie wissen gar nicht von was sie reden.

  2. @Klaus
    Danke für den Hinweis.

    @Paule
    Das ist meis­tens so, dass das Unbe­kannte Ängste schürt. Aller­dings liegt es ja auch an einem selbst, inwie­weit man dann gleich jeder Hetze glaubt.
    Die Kampa­gne soll die anony­men Opfer etwas näher brin­gen, zeigen, dass sie eben einfach nur Nach­barn waren.

  3. Ich bin ja froh, zu erfah­ren, dass die Stol­per­steine noch da sind. Zu Anfang wurden welche abmon­tiert aus Anti­se­mi­sit­mus ; inzwi­schen muss man wegen des Metall­wer­tes um sie fürch­ten.

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