Night on Earth (3)

Wenn ich tief in der Nacht durch die leeren Stra­ßen Berlins fahre, ist die Stadt gar nicht so dunkel. Sie ist nur anders hell, inten­si­ver. Die Neon­re­klame an den Geschäf­ten leuch­ten die Stra­ßen aus, die Lich­ter der entge­gen­kom­men­den Autos und der Stra­ßen­la­ter­nen spie­len dazu die Begleit­mu­sik. Dazwi­schen immer viel zu viel gelbe Taxi­schil­der, die davon zeugen, dass noch andere Gestal­ten wie ich auf der Suche sind. Das ist an schlech­ten Tagen wie in der Wild­nis, da gönnt man sich nichts und sowie Beute auftaucht, stürzt man sich drauf. Der abge­dro­schene Begriff des Groß­stadt­dschun­gels bekommt hier einen Sinn. Es ist ein Gegen­ein­an­der.
Dazwi­schen die, die damit nichts zu tun haben, Radfah­rer, Passan­ten, andere Autos, man muss sie mit den Augen­win­keln wahr­neh­men, aber sie stel­len keine Gefahr dar.

In Char­lot­ten­burg fahre ich an einen Imbiss, der Wirt fragt mich gleich beim Ankom­men “Kass­ler mit Sauer­kraut und ’n Multi?”. Er merkt es sich, obwohl ich hier nur alle ein, zwei Monate vorbei komme. Hier stehe ich beim Essen zwischen Kolle­gen, in deren Leben es ausschließ­lich ein einzi­ges Thema gibt. Über all die Jahre habe ich sie noch nie über etwas ande­res reden hören als über Fußball. Das ist schon beein­dru­ckend. Aber lang­wei­lig. Danach gehts wieder los.

Die Nacht ist ein Verstär­ker. Sie verstärkt das Helle, Bunte, das Laute. Und auch das, was man nicht sieht oder hört. Trau­rig­keit, Nach­denk­lich­keit, Angst, Schmer­zen, aber auch das Glück das man spürt, wenn man an einen gelieb­ten Menschen denkt und sich vorstellt, wie er gerade jetzt in diesem Moment im Bett liegt und schläft.

In der Nacht kommt auch die Sehn­sucht. Die Gedan­ken an Orte, die man unbe­dingt noch besu­chen möchte oder die man noch­mal wieder­se­hen möchte. Sehn­sucht auch nach einem ande­ren Leben, in dem das Hinter­her­ren­nen im Alltag keine Rolle spielt. Ein Leben, das einen Sinn hat und nicht nur im Kalen­der Tag für Tag herun­ter­ge­zählt wird, bis man auf Null ist. Sehn­sucht, Sinn im Leben, das ist alles nichts Neues und doch so wich­tig. Im Taxi bekomme ich oft kurze Einbli­cke in das Leben meiner Fahr­gäste. Manch­mal frus­trie­ren sie mich, weil sie so unend­lich banal sind und ihre Werte so billig. Wenn sie damit zufrie­den sind, ist es ja okay, ich habe nicht das Recht, sie deshalb zu kriti­sie­ren. Aber ich finde es trotz­dem trau­rig. Und wenn ich es mit meinem eige­nen Leben verglei­che, dann erschre­cke ich, weil ich bei all meiner Pseudo-Weis­heit doch auch nicht anders bin als sie.
Aber wenigs­tens sehe ich es — und bin damit unglück­lich. Blind­heit ist also viel­leicht gar nicht so schlecht.
Auf dem Weg nach Hause gehen mir wieder die Geschich­ten und Eindrü­cke dieser Nacht durch den Kopf. Dabei versu­che ich mir einzu­re­den, dass sie keine vergeu­dete Zeit sind, sondern inter­es­sant. Fließ­band wäre schlim­mer. Aber vieles andere wäre besser.

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1 Kommentar

  1. Guter Text! Manch­mal hab ich auch solche Anwand­lun­gen. Und “Night on Earth” war schon immer einer meiner Lieb­lings­filme.
    Außer­dem: die ganze Seite finde ich von den Inhal­ten sehr gelun­gen.
    Viele Grüße aus Fran­ken

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