Pfar­rer Kuntze, 1855:
“Hundert Jahre sind verflos­sen, seit die ersten Häuser der jetzt so ausge­dehn­ten und bevöl­ker­ten Rosen­tha­ler Vorstadt erbaut worden sind. Die ganze Gegend vom Magis­trats-Wein­berge, oder zuletzt Klau­sens Wein­berg genannt, der ein klein wenig südwest­lich von dem jetzi­gen Hambur­ger Bahn­hofe gele­gen hat, bis zu dem später Wollank­schen Wein­berge am Rosen­tha­ler Thore, war noch 1640 mit Wald bedeckt. Dort befand sich bis an das nörd­li­che Ufer der Spree herab­ge­hend, die Hasen­heide, nebst eini­gen Wein­gär­ten in der jetzi­gen Orani­en­bur­ger- und Wein­meis­ter-Straße und hier­durch ging der Weg nach Span­dow, von Span­dower Thor aus, das unge­fähr da stand, wo sich jetzt die Garni­sons­kir­che befin­det; so wie der Ruppi­ner Heer­weg, die jetzige Chaus­see-Straße.
Um das Jahr 1705 waren Span­dauer- und Doro­theen-Stadt ziem­lich bebaut, und König Fried­rich I. ließ diese mit einer Circum­val­la­tion umge­ben; die ihre Rich­tung durch die heutige Linien-Straße verfolgte und aus Pali­sa­den bestand. Erst 1788 und 89 wurde die Grenze der Stadt etwas weiter hinaus gerückt und statt der Pali­sa­den eine Mauer von Back­stei­nen nebst den drei Thoren, das Rosen­tha­ler, Hambur­ger und Orani­en­bur­ger erbaut.
Der Gedanke, die Rosen­tha­ler Vorstadt außer­halb der Pali­sa­den oder vor der Rosen­tha­ler und Hambur­ger Land­wehr anzu­le­gen, ging von Fried­rich dem Großen selbst aus. Die Aufmerk­sam­keit des Königs wurde beson­ders auf diese Gegend gelenkt, seit er 1748 das Inva­li­den-Haus für seine verwun­de­ten und alten Krie­ger erbaut hatte.
Die dama­li­gen vielen Bauten zogen eine Menge von Leuten, nament­lich aus dem Auslande hier­her, so dass im Jahre 1751 unter 535 Zimmer­ge­sel­len 214 Auslän­der, meist aus Sach­sen, und unter 715 Maurer­ge­sel­len 245 Auslän­der, eben­falls meist aus Sach­sen sich befan­den. Diese pfleg­ten den Sommer über hier zu arbei­ten, und sobald die Beschäf­ti­gung bei den Bauten aufhörte, gingen sie in ihre Heimath nach Sach­sen und dem säch­si­schen Voigt­lande zurück und verzehr­ten das Ersparte dort. Dadurch ging viel Geld aus dem Lande.”

Die Reise beginnt vor über 250 Jahren, etwa um 1740. Zu diesem Zeit­punkt verlief die Stadt­mauer um Berlin etwa dort, wo sich heute die Torstraße befin­det. Und die heißt auch deswe­gen so, weil sie damals bereits als Thor­straße das Orani­en­bur­ger, Hambur­ger, Rosen­tha­ler, Schön­hau­ser und Prenz­lauer Tor mitein­an­der verband. Dies war aber nicht mehr die “rich­tige” Stadt­mauer, die unter dem Großen Kurfürs­ten als Befes­ti­gung der Stadt ange­legt worden war, denn diese befand sich einige Meter weiter südlich, hinter der Lini­en­straße. Da sie nicht mehr nötig war, wurde sie unter Fried­rich Wilhelm I. abge­tra­gen, so dass die neue Pali­sade nur eine Akzi­se­mauer war, also gewis­ser­ma­ßen eine Zoll­schranke. Außer­dem sollte sie verhin­dern, dass die Solda­ten einfach aus der Stadt abhauen. Als Begrün­dung diente, dass man durch diese Maßnahme weni­ger Deser­teure an den Galgen brin­gen musste.
Außer­halb der Stadt­mauer sah es ziem­lich trost­los aus. Denn außer den Wegen, die von den einzel­nen Toren in Rich­tung der Städte führ­ten, deren Namen sie trugen, war drau­ßen nichts als Sand. Es war eine rich­tige Wüste, die sich dort vor Berlin ausbrei­tete.
Der Grund war der gedan­ken­lose Umgang der Berli­ner Bevöl­ke­rung mit der Natur. Denn noch hundert Jahre zuvor befand sich an der selben Stelle dich­ter Wald, der sich ursprüng­lich sogar bis an die Ufer der Spree hinzog. Doch der Bau der Akzi­se­mauer, die aus ange­spitz­ten Holz­pfäh­len bestand, die umfang­rei­che Neubau­tä­tig­kei­ten inner­halb der Stadt sowie auch das nötige Brenn­ma­te­rial zum Kochen und Heizen verbrauch­ten Unmen­gen von Holz. Und so wurde der Wald vor der Stadt sorg­los und plan­los abge­holzt, eine Wieder­auf­fors­tung gab es nicht. Das Ergeb­nis war, dass es ab etwa 1730 eine riesige unnutz­bare Sand­flä­che gab. Da keiner­lei Vorkeh­run­gen dage­gen getrof­fen wurden, ist der Sand bei jedem Wind und Sturm in die Stadt getra­gen worden. Er setzte sich in den Stra­ßen, Gärten und Häusern nieder und geriet immer mehr zum Ärger­nis für die Bevöl­ke­rung. Dem Bericht eines Armee­ge­ne­rals zufolge staute sich der Flug­sand an der Akzi­se­mauer angeb­lich so hoch, dass man auf ihm hinüber­rei­ten konnte. Außer eini­gen wenige klei­nen Hütten war die Wüste nur mit dem Hoch­ge­richt bebaut, der Städ­ti­schen Galgen­an­lage. Diese stand bis 1753 an der heuti­gen Berg­straße in Höhe des Sophien­fried­hofs und wurde dann 500 Meter weiter nach Norden verscho­ben.
Die Möglich­keit, die Sand­flä­che zu bepflan­zen oder zu bebauen wurde aus Kosten­grün­den viele Jahr­zehnte verscho­ben. Erst 1732 wagte es der Ober­inspek­tor Haber­maaß, dem Sand einen klei­nen Damm entge­gen­zu­set­zen, auf dem er eine Reihe von Erlen anpflanzte. 1733 erhielt er Unter­stüt­zung vom Prof. Gledit­sch, der ihm riet, unter­schied­li­che Arten von Gras auf dem Sand zu pflan­zen, da diese ihren Wurzeln tief im Boden veran­kern und damit das Umher­flie­gen des Sandes verhin­dern würden. Und offen­sicht­lich war dieses Vorge­hen erfolg­reich.
An Anfang der 50er Jahre sollte auch das Gelände außer­halb der Mauer zwischen dem Hambur­ger Tor und dem Rosen­tha­ler Tor bebaut werden. Das Hambur­ger Tor befand sich an der Stelle, wo heute die Garten­straße zwischen der Torstraße und der Lini­en­straße verläuft. Das Rosen­tha­ler Tor stand auf der Rosen­tha­ler Straße zwischen dem gleich­na­mi­gen Platz und der Lini­en­straße. Dieses Gebiet wird heute auch die “Rosen­tha­ler Vorstadt” genannt.

1751 gab Fried­rich II. den Auftrag zur Bebau­ung der Fläche in vier Reihen mit jeweils 15 einge­schos­si­gen Häusern. Er plante dort die zahl­rei­chen Hand­wer­ker unter­zu­brin­gen, die als Saison­ar­bei­ter in den Sommer­mo­na­ten am Aufbau der Stadt arbei­ten, jedoch im Winter wieder zurück nach Hause fuhren und vor allem dort das verdiente Geld ausga­ben. Viele dieser Hand­wer­ker kamen aus dem Vogt­land (die frühere Schreib­weise lautet Voigt­land), das im heuti­gen Bundes­land Sach­sen liegt. Um die Hand­wer­ker dazu zu bewe­gen, ganz­jähr­lich hier wohnen zu blei­ben, sollte ihnen die Zahlung der Steuer erlas­sen werden.

Fried­rich II. schrieb:
“Das Ihr dem Geh. Rath Kirch­ei­sen, bey Erstat­tung Eures Berich­tes vom 14. dieses Mir ange­zei­get habet, dass unter denen zu Berlin jetzo befind­li­chen Zimmer- und Maurer­ge­sel­len, sich 247 fremde Zimmer-Gesel­len, so aus- und einwan­dern und bey dem Maurer-Gewercke 294 fremde Gesel­len, so ab- und zurei­sen, befind­lich seyen; So will ich zuvör­derst von euch noch wissen, ob gedachte Gesel­len nicht von denen soge­nann­ten Voigt­län­dern seynd, welche zu Sommer­zei­ten kommen, um zu arbei­ten, gegen die Winter­zeit aber wiederum nach ihrer Heymath reisen, um allda das durch ihre Arbeit verdiente Geld zu verzeh­ren.”

Der König konnte sich nicht gleich zum Bau der Häuser entschlie­ßen, stellte den Hand­wer­kern dann 1752 aber doch 9.000 Reichs­ta­ler für Bauholz und Sand­stein aus Rüders­dorf zur Verfü­gung, wenn sie sich die Häuser selber bauen würden.
Sofort nach dieser Order wurde damit begon­nen, die einzel­nen Grund­stü­cke abzu­ste­cken. Die vier “Reihen” waren auf zwei Grund­stü­cke verteilt: Südlich wurden sie durch die Stadt­mauer begrenzt, im Norden durch die heutige Inva­li­den­straße. Im Osten verlief die “1. Reihe”, die der heuti­gen Brun­nen­straße entspricht, die west­li­che “4. Reihe” begrenzt die heutige Berg­straße. Und mitten­drin verlie­fen die “2. und 3. Reihe”, im Verlauf der jetzi­gen Acker­straße. Diese Block­auf­tei­lung hat sich bis zum Ende des 20. Jahr­hun­derts nicht mehr verän­dert. Sämt­li­che 60 Häuser hatten den glei­chen Grund­riss, mit nur einem Stock­werk und Wohnun­gen für zwei Fami­lien. Jede dieser Wohnun­gen besaß eine Stube mit zwei Fens­tern zur Straße hinaus, eine Kammer und eine Küche mit jeweils einem Fens­ter zum Hof bzw. Garten. Zur Versor­gung mit Wasser wurden vier Brun­nen ange­legt. Doch von all den damals gebau­ten Gebäu­den steht heute natür­lich nichts mehr. Aller­dings wurden zur selben Zeit ganz ähnli­che Gebäude in der “Weber­ko­lo­nie Nowa­wes” bei Pots­dam ange­legt, die noch heute zu betrach­ten sind. Nahe des S‑Bahnhofs Babels­berg kann man um die Straße Alt-Nowa­wes herum noch einige Origi­nal-Häuser sehen, wie sie im 18. Jahr­hun­dert gebaut worden sind.
Da das nun bebaute Gebiet der Rosen­tha­ler Vorstadt Auswär­ti­gen zur Verfü­gung gestellt worden ist, wurde es als Kolo­nie bezeich­net und nach der Herkunft der zukünf­ti­gen Bewoh­ner benannt: Fortan hieß es also “Kolo­nie Neu-Voigt­land” und noch fast 250 Jahre später nennen einige hier lebende Menschen die Gegend “das Vogt­land”.

In den Folge­jah­ren verän­derte sich die Zusam­men­set­zung derje­ni­gen, die in der Kolo­nie lebten, grund­le­gend. Nach einer Erhe­bung im Jahre 1754 lebten in den 120 Wohnun­gen 66 Maurer und 50 Zimme­rer (jeweils mit Fami­lie). Bereits 1755 jedoch mach­ten diese Berufs­stände gerade noch 64 Wohn­ein­hei­ten aus; statt­des­sen haben sich verschie­dene andere Hand­wer­ker, aber auch Händ­ler und Solda­ten einge­kauft. Aller­dings behiel­ten die Häuser noch bis zur Jahr­hun­dert­wende ihren bevor­zug­ten Status, so dass kein Berli­ner sie kaufen durfte. Im Laufe der Jahre wurden viele der Häuser aus- und umge­baut, und es wurden immer mehr Mieter aufge­nom­men. Auch dadurch verän­derte sich bald die Zusam­men­set­zung der Bewoh­ner.

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