Am 17. Juni 1953 erho­ben sich die Bauar­bei­ter der Stalin­al­lee gegen die Erhö­hung ihrer Arbeits­nor­men. Sie soll­ten für dasselbe Geld noch mehr leis­ten. Ihre Demons­tra­tion zum Haus der Minis­te­rien in der Leip­zi­ger Straße entwi­ckelte sich zu einem landes­wei­ten Aufstand, der erst mit sowje­ti­schen Panzern nieder­ge­schla­gen werden konnte. Diese Arbei­ter schuf­te­ten an der größ­ten Baustelle Ostber­lins, denn die Stalin­al­lee sollte das Pres­ti­ge­ob­jekt der DDR werden, der Beweis, dass der Sozia­lis­mus dem Kapi­ta­lis­mus über­le­gen ist. So wurden in die Bauten Zentral­hei­zun­gen einge­baut, es gab Aufzüge und Dach­gär­ten. Und zum Ruhme des Sozia­lis­mus wurden am Straus­ber­ger Platz zwei Hoch­häu­ser mit je 13 Stock­wer­ken errich­tet, die die Stalin­al­lee auf beiden Seiten salu­tier­ten.

Das konnte sich der Westen natür­lich nicht bieten lassen. Und so konkur­rier­ten Ost- und West-Deutsch­land auch im Kalten Krieg des Wohnungs­baus: Auf der einen Seite die Stalin­al­lee, später noch der Alex­an­der­platz; auf der ande­ren Seite das Hansa­vier­tel in Tier­gar­ten und der geplante Thomas­hof im Wedding. Denn so sollte die spätere Ernst-Reuter-Sied­lung ursprüng­lich heißen. Natür­lich wurde diese Sied­lung nicht nur aus poli­ti­scher Taktik heraus gebaut, denn gerade im Wedding gab es große Zerstö­run­gen und die übrig geblie­be­nen Häuser waren auch nicht gerade sehr wohn­lich. Meyer’s Hof zum Beispiel stand zur Hälfte immer noch, nur die hinte­ren Häuser waren zerbombt.
Anders erging es der benach­bar­ten Eisen­gie­ße­rei Keyling & Thomas. Diese wurde im Krieg zerstört und hinter­ließ dadurch ein größe­res zusam­men hängen­des Gelände. Im Zuge der soge­nann­ten “Stadt­er­neue­rung” sollte nun im Wedding ein komplett neuer Wohn­block errich­tet werden. Da aber die Wohn­be­bau­ung sehr unter­schied­lich zerstört war und die Grund­stü­cke wie ein Flicken­tep­pich aufge­teilt waren und jedes auch noch jemand ande­rem gehörte, war dieses Gelände ein Glücks­fall. Dazu lag es fast an der Grenze zu Ostber­lin und eignete sich so auch noch als Propa­ganda-Objekt gegen die DDR.
So wurde Anfang der 50 Jahre der Plan für diese neue Sied­lung gefasst. Beson­ders hatte sich der Regie­rende Bürger­meis­ter Ernst Reuter für den Bau des Thomas­ho­fes einge­setzt. Es wurde sogar erreicht, dass ein großer Betrag zum Bau der Sied­lung aus Bundes­mit­teln zuge­schos­sen wurde. Denn die Sied­lung sollte auch zeigen: Seht her, erst fins­terste Miets­ka­ser­nen, jetzt groß­zü­gige, licht­durch­flu­tete Sied­lun­gen; das ist die neue Zeit — im Westen! Man kann diese Sied­lung auf jeden Fall als Kind des Kalten Krie­ges bezeich­nen, was aber den späte­ren Bewoh­nern sicher egal war. Sie haben sich über 402 so schöne Wohnun­gen gefreut.
Im Sommer 1953 begann dann der Bau der Sied­lung. Ernst Reuter selbst erschien auf der Baustelle, zwei Monate später starb er. Bei der Einwei­hung der Sied­lung am 18 .Juli 1954 wurde der Komplex offi­zi­ell in Ernst-Reuter-Sied­lung umbe­nannt. Eine Büste wurde aufge­stellt und der dama­lige Bundes­prä­si­dent Theo­dor Heuss hielt die Anspra­che. Der Weg, der quer durch den Block führt, wurde Theo­dor-Heuss-Weg genannt — maka­ber, denn norma­ler­weise werden nur Tote durch eine Straße geehrt. Aber Heuss nahms nicht persön­lich und freute sich trotz­dem darüber.

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