Juden, Schwule, Neger und Zigeuner

Kreuz­berg in den 1990er Jahren: Auf einer Demons­tra­tion unter­hielt ich mich mit einem Freund über eine schwarze Leder­ja­cke, als ich von der Seite von einem Schwar­zen ange­brüllt werde: Wieso ich ihn einen Neger nennen würde, schrie er. Meine Erklä­rung, dass ich das gar nicht getan hätte, ließ er nicht gelten. Nur knapp entging ich einer Schlä­ge­rei.
Berlin im Juli 2017: In der Presse stand, dass in den Schu­len „Jude“ und „schwul“ massen­haft als Schimpf­wör­ter genutzt würden. Unab­hän­gig davon, ob jemand tatsäch­lich Jude oder schwul ist. Alle regten sich darüber fürch­ter­lich auf.
2017: Schon mehr­mals habe ich E‑Mails mit der Auffor­de­rung bekom­men, nicht mehr „Flücht­linge“ zu schrei­ben, sondern „Geflüch­tete“. Das wäre ansons­ten rassis­tisch.

Was für ein Schwach­sinn!

Ich finde diese Aufre­gung ziem­lich lächer­lich, denn sie unter­stellt einem, Rassist, Anti­se­mit oder sowas zu sein. Sicher, Spra­che ist der wesent­li­che kommu­ni­ka­tive Ausdruck eines Menschen. Auch ich erschre­cke und protes­tiere, wenn jemand z.B. von „Kana­cken“ spricht. Bei Leuten die ich kenne frage ich auch, weshalb sie solch ein Wort benut­zen. Immer­hin ist Kana­cke eben­falls ein Schimpf­wort, jeden­falls wenn es von Deut­schen nega­tiv genutzt wird. Dage­gen gibt es eine Reihe von Türken, die sich selber als Kana­cken bezeich­nen. Sie nehmen das Schimpf­wort auf und indem sie es selber auf sich bezie­hen, entschär­fen sie es.
Genauso lief es einst mit dem Wort „schwul“, das bis in die 1960er Jahre ausschließ­lich nega­tiv besetzt war, dann aber von homo­se­xu­el­len Männern für sich selber genutzt wurde. Mitt­ler­weile ist es ein ganz norma­les umgangs­sprach­li­ches Wort. Wer heute etwas abwer­tend als schwul bezeich­net, meint gar nicht unbe­dingt schwule Männer oder Jungs, sondern Leute, die einfach nicht als Macker auftre­ten.

Das Beispiel mit den Kana­cken und Schwu­len ist auch auf die Schwar­zen über­trag­bar. Während meiner Kind­heit war „Neger“ noch ein ganz gebräuch­li­ches Wort, das nicht abwer­tend benutzt wurde, sondern beschrei­bend, einord­nend. Selbst der einzige schwarze Junge in unse­rer Schule nannte sich selbst Neger.
In den vergan­ge­nen Jahren habe ich mehr­mals schwarze Jugend­li­che getrof­fen, die sich gegen­sei­tig eben­falls als Neger bezeich­ne­ten. Ähnlich wie schwarze Rapper in den USA sich selbst Nigger nennen.

All diese Beispiele zeigen deut­lich, dass es weni­ger wich­tig ist, welche Begriffe man benutzt, sondern wie sie gemeint sind. Wenn jemand einen ande­ren abwer­tend als Kana­cke oder Neger bezeich­net, tut er dies in voller Absicht, um ihn zu belei­di­gen.
Der berühmte mosam­bi­ka­ni­sche Schrift­stel­ler Mia Couto schrieb vor ein paar Tagen: „Das sind Moden, die sich ändern. Im Mosam­bik nach der Unab­hän­gig­keit war ‚preto‘ (Schwar­zer) das korrekte Wort. Heute ist es ‚negro‘ (Neger). Schwar­zer soll man heute nicht sagen.“

Vor vielen Jahren lebte ich einen Sommer lang zusam­men mit etwa 30 Zigeu­nern aus Essen auf einem Camping­platz in Baden-Würt­tem­berg. Ich schlief in ihren Wagen, wir unter­nah­men viel zusam­men. Schon damals mach­ten sich einige von ihnen lustig über die Deut­schen, von denen sie „Sinti und Roma“ genannt wurden. Zumal es gar keine Roma waren. Sie selber nann­ten sich Zigeu­ner und verstan­den gar nicht, weshalb sich manche mit dem Begriff so herum­quä­len. Mein Freund meinte sogar, dass man eigent­lich auch „Sinti-und-Roma-Schnit­zel“ sagen müsste.

Als ich vor weni­gen Wochen vier Zigeu­ner im Taxi hatte, habe ich das auch ange­spro­chen. Sie sagten mir, sie wären Roma, würden aber das Wort Zigeu­ner nicht als Belei­di­gung empfin­den, solange es nicht als solche benutzt würde. Auch sie fanden es merk­wür­dig, dass das Wort in Deutsch­land gene­rell als rassis­tisch gilt.

Tatsäch­lich ist die „poli­tisch korrekte“ Spra­che eine Erfin­dung von Weißen. Sie ist sicher gut gemeint, hat aber auch einen rassis­ti­schen Ursprung, weil sie die Betrof­fe­nen oft bevor­mun­det. Noch­mal Mia Couto: „Wer die poli­ti­cal correct­ness aus den USA über­nimmt, über­nimmt auch ameri­ka­ni­sche Denk­mus­ter.“
So verhält es sich auch damit, dass immer mehr englische/amerikanische als poli­tisch korrekte Begriffe genutzt werden, z.B. Refu­gees statt Flücht­linge.

Über­haupt Flücht­linge: Auch diesen Begriff soll man ja nicht mehr nutzen, sondern wenigs­tens „Geflüch­tete“ sagen. Wieso? Keine Ahnung. Angeb­lich wäre „Flücht­ling“ ein abwer­ten­der Begriff, wegen des „-ling“ am Ende. Dabei gibt es zahl­rei­che posi­tiv besetzte Wörter, die darauf enden, wie Schmet­ter­ling oder Früh­ling.

Es ist genau dieses krampf­hafte Konstru­ie­ren von angeb­lich rassis­ti­scher oder sons­ti­ger nega­ti­ven Wertung von Wörtern, das die „poli­tisch korrekte“ Spra­che so proble­ma­tisch macht. Dazu kommt die Bevor­mun­dung, dass man dieses und jenes nicht sagen darf, dass man den Menschen vorschrei­ben will, wie sie zu spre­chen haben. Sie erin­nert an das orwell­sche „Neusprech“, in der das Wahr­heits­mi­nis­te­rium zahl­rei­che Begriffe aus dem allge­mei­nen Sprach­ge­brauch streicht, um damit das Denken der Bevöl­ke­rung zu kontrol­lie­ren. Ich finde das uner­träg­lich.

Das Verbot bestimm­ter Wörter bewirkt doch keine Ände­rung in der Denk­weise. Werden Rassis­ten plötz­lich tole­rant, nur weil sie Schwar­zer statt Neger sagen? Statt­des­sen wächst doch eher der Frust über eine Bevor­mun­dung z.B. durch manche Medien, eben weil sie einem den Sprach­ge­brauch vorschrei­ben wollen. Rechts­extre­mis­ten wie NDP oder AfD nutzen dies gerne, um gegen die „herr­schende Volks­be­vor­mun­dung“ zu argu­men­tie­ren.

Ich denke, man sollte mal etwas gelas­se­ner blei­ben, wenn der Nach­bar erzählt, dass im Erdge­schoss zwei Zigeu­ner oder Neger einge­zo­gen sind. Viel­leicht schlägt man ihm lieber vor, mal runter­zu­ge­hen und ein Will­kom­mens­ge­schenk zu über­rei­chen. Spätes­tens an diesem Punkt merkt man ja, ob er tatsäch­lich etwas gegen sie hat oder einfach nur diese Wörter benutzt.

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