Unmenschlicher Umgang

In Mitte und spezi­ell Moabit rumort es. Am 9. Januar hat Bezirks­bür­ger­meis­ter Stephan von Dassel mal wieder ein Obdach­lo­sen­camp räumen lassen, das sich unter einer Brücke der Straße Alt-Moabit befand. Dort haben sie nieman­den gestört, außer viel­leicht der “öffent­li­chen Meinung”. Angeb­lich hätten sich Nach­barn beschwert, was an dieser Stelle unmög­lich ist — hier wohnen nebenan gar keine Menschen.

Und wenn es trotz­dem so wäre, was soll das dann? Dieje­ni­gen, die hier lebten, hatten vermut­lich nichts ande­res als das: Einen Platz unter einer Brücke, einen Einkaufs­wa­gen mit ihrer Klei­dung, sowie ein paar andere, die in der glei­chen Situa­tion sind. Als Obdachlose/r nicht allein zu sein, ist sehr wich­tig, es ist ein Schutz gegen dieje­ni­gen, die meinen, es handele es sich um unwer­tes Leben, dass man belei­digt und angrei­fen darf.

Dassel hat sie ange­grif­fen, dadurch, dass das Ordnungs­amt Mitte diesen Menschen ihr biss­chen Zuhause zerstört hat. Ihr Hab und Gut wurde von der BSR in einen Müll­con­tai­ner gewor­fen, sie wurden wegge­trie­ben, eine Frau sogar fest­ge­nom­men, weil sie sich laut­stark gewehrt hat. Die Poli­zei stülpte ihr sogar eine Tüte über den Kopf.

Dassel argu­men­tiert danach, dass man den Opfern die Räumung ja vorher ange­kün­digt hätte, als wenn es das besser machen würde. Man hätte ihnen auch Alter­na­ti­ven ange­bo­ten, die sie aber nicht ange­nom­men haben. Dabei unter­schlägt er jedoch, dass diese “Alter­na­ti­ven” für viele gar keine sind! Denn diese Ange­bote bestehen darin, in Notun­ter­künfte zu gehen. Dort jedoch werden die Menschen oft bestoh­len, sie dürfen ihre Hunde nicht mit rein nehmen und keinen Alko­hol konsu­mie­ren. Da viele von ihnen aber alko­hol­krank sind, bleibt ihnen gar nichts ande­res übrig. Aus eige­ner Kraft werden die meis­ten nicht davon wegkom­men. Sie deshalb aus der Notüber­nach­tung auszu­schlie­ßen, bedeu­tet also, sie ihrem Schick­sal zu über­las­sen. Dann soll man das aber deut­lich sagen, dass einem das Leben dieser Menschen scheiß­egal ist, und nicht so tun, als wäre man ja besorgt. Außer­dem ist eine Notüber­nach­tung etwas ande­res, als ein Platz, an dem man sich den ganzen Tag aufhal­ten kann und nicht morgens wieder weg muss.

Ja, ich finde es auch unan­ge­nehm, wenn ich die schmut­zi­gen Schlaf­plätze von Obdach­lo­sen sehe. Und davon gibt es in Berlin mitt­ler­weile sehr viel. Vor allem aber empfinde ich Mitleid und auch Scham, dass es so etwas in unse­rem reichen Land über­haupt gibt. Law-and-Order-Poli­ti­ker wie Mittes Bürger­meis­ter Dassel heucheln Mitge­fühl — aber sie nutzen ihre Mittel nicht, um das Elend zu bekämp­fen. Anstatt diesen Menschen die Poli­zei, Ordnungs­amt und Stadt­rei­ni­gung auf den Hals zu hetzen, könnte der Bezirk an eini­gen Stel­len auch mobile Toilet­ten aufstel­len und Wasch­con­tai­ner. Dann bräuch­ten sich die Opfer der Vertrei­bung auch nicht anhö­ren müssen, sie wären ja verdreckt und hätten Läuse.

Diese kleine Gruppe von Obdach­lo­sen lebten an einem Platz, an dem sie nieman­den stör­ten. Unter einer Straße, abseits der Wege, die Passan­ten benut­zen. Und trotz­dem wurden sie vertrie­ben und ihre Zelte zerstört und gestoh­len, so wie vorher schon unzäh­lige Male.
Seit 2017 gab es in Mitte rund 100 Vertrei­bun­gen wegen “ille­ga­lem Campie­rens im öffent­li­chen Raum”. Das Bezirks­amt spricht von “über 60” Räumun­gen.
Dassel ist mitt­ler­weile auch in seiner eige­nen Partei, den Grünen, wegen dieser unmensch­li­chen Poli­tik gegen Wehr­lose höchst umstrit­ten. Er ist für diese Posi­tion des Bürger­meis­ters völlig unge­eig­net, in seiner Pres­se­mit­tei­lung von gestern droht er nun dem Tages­spie­gel sogar recht­li­che Konse­quen­zen gegen dessen Bericht­erstat­tung an.
Dassel will nicht wahr haben, dass es hier nun mal auch viel Elend gibt. Und er tut so, als würde es sich bei den immer wieder hinge­stell­ten und dann vom Ordnungs­amt zerstör­ten Zelte um einen Camping­platz von Touris­ten handeln.

“Zusätz­lich erfolgte der Hinweis darauf, dass das Campie­ren eine uner­laubte Sonder­nut­zung nach dem Berli­ner Grün­an­la­gen­ge­setz darstellt.”
(Bezirks­bür­ger­meis­ter Dassel)

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https://www.youtube.com/watch?v=B2kUEXW_VhA&feature=youtu.be

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Zufallstreffer

Kein Paradies

Uniform

Sie schla­gen. Sie demü­ti­gen. Sie spie­len ihre Macht aus. Gegen die Macht­lo­sen. Gegen die, die hier nach Schutz such­ten. Vor den Schlä­gen in ihrer Heimat. Und doch wieder Schläge finden. Die Poli­ti­ker sind betrof­fen. Entsetzt. […]

2 Kommentare

  1. Ja, es wird immer schlim­mer in Berlin.Zu wenig Verständ­nis von oben. Denen geht es eben zu gut. Tut mir auch immer weh wenn ich es sehe. Konnte aber schon mal spon­tan mit der Mütze helfen die ich aufhatte oder einen warmen Schal. Geld hilft ja nur zum Über­le­ben oder sich mal was zu gönnen.

  2. Moin, moin,
    ich hoffe mal, dass sich hier niemand auf Kosten der Obdach­lo­sen profi­lie­ren will/muss.
    Ich bin immer ziem­lich erschro­cken, wie offen­sicht­lich die Thema­tik in Berlin ist. Die ange­spro­che­nen Schlaf­stät­ten und Camps sind ja nicht zu über­se­hen.
    Die Behör­den sind da immer in der Zwick­mühle, ich habe mal gelernt, dass ein Amt keinen Schlaf­sack bewil­li­gen darf, da dies indi­rekt das “Platte machen” fördert. Obdach­lo­sig­keit ist tatsäch­lich eine Gefähr­dung der Sicher­heit und Ordnung. Es greift also das Gefah­ren­ab­wehr­recht.
    Natür­lich sind die vorhan­de­nen Ange­bote nicht ausrei­chend und es gibt strenge Haus­ord­nun­gen.
    Ich bin ja nicht vor Ort, daher meine Frage ob die Obdach­lo­sen durch Wohnungs­ver­lust in Berlin auf der Straße gelan­det sind oder ob die Szene einfach eine Sogwir­kung hat und immer mehr “Geschei­terte” von außer­halb (auch europ. Ausland) in Berlin “sess­haft” werden.
    Vertrei­bung ist keine Lösung. Auch ist sicher­lich nicht jeder Betrof­fene in der Lage in einer eige­nen Wohnung klar­zu­kom­men.
    Ich befürchte, dass es immer schwe­rer werden wird, Verständ­nis für die Obdach­lo­sen zu wecken und an den Ursa­chen zu arbei­ten.
    Ich muss bei Berlin­be­su­chen tatsäch­lich wegschauen, sonst wäre das kaum zu ertra­gen.
    Gruß Frank

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