Advent in der Bahnhofsmission

Auch fünf Jahre nach dem ersten Erschei­nen dieses Arti­kels hat sich die Lage in der Bahn­hofs­mis­sion nicht verbes­sert. Deshalb hier noch­mal ein Erfah­rungs­be­richt.

Als wir im Sommer unser klei­nes Café in Mitte eröff­ne­ten, war abends oft noch eine Menge an Lebens­mit­teln übrig. Vor allem Schrip­pen konn­ten wir nicht für den nächs­ten Tag aufhe­ben, also brach­ten wir sie regel­mä­ßig zur Bahn­hofs­mis­sion am Bahn­hof Zoo. In den Räumen unter den Glei­sen trafen wir immer auf eine erschre­ckende Armut.

Manche der Gäste, die sich dort Tee oder ein Bröt­chen abhol­ten, hatten offen­bar seit Wochen keine Gele­gen­heit mehr gehabt sich zu waschen, viele hatten zerris­sene und schmut­zige Klamot­ten, die meis­ten lebten auf der Straße. Sie empfin­gen uns immer sehr freund­lich, bedank­ten sich für die kleine Spende, die uns ja nur ein paar Euro kostete.
Nach unse­rer Café-Pleite woll­ten wir die große Kaffee­ma­schine eigent­lich verkau­fen. Dann aber hatten wir die Idee, sie der Bahn­hofs­mis­sion zu spen­den und auch selber dort mal Kaffee auszu­schen­ken. Bei einem Besuch verein­bar­ten wir einen Termin, am 3. Advent sollte es soweit sein. Mittags zum 14 Uhr trafen wir uns in der Jebens­straße hinterm Bahn­hof, dort wo auch die Stri­cher stehen und der Wohn­wa­gen der Obach­lo­sen­zei­tung Stra­ßen­fe­ger. Sieben mittel­alte Damen und der Leiter empfin­gen uns sehr freund­lich. Nachem wir unsere Kaffee­ma­schine aufge­baut hatten, war noch eine halbe Stunde bis zur Öffnung der Mission. Sie luden uns an ihren Tisch ein, eine der Damen las eine Geschichte vor, über Gandhi und Nehru. Wir lern­ten uns ein biss­chen kennen und dann wurden die Aufga­ben verteilt.

Norma­ler­weise werden die Gäste der Bahn­hofs­mis­sion nur im Vorraum verkös­tigt, an den Advents­sonn­ta­gen dürfen sie aber in den großen Raum, die Tische waren mit Kerzen und Tannen­ge­de­cken geschmückt. Zu Advent und Weih­nach­ten gibt es glück­li­cher­weise viele Lebens­mit­tel­spen­den, so dass der Tisch, der als Servier­tre­sen diente, reich­lich gedeckt war. Zwei von uns stan­den in der Küche und koch­ten Kaffee am laufen­den Band, die beiden ande­ren schenk­ten gemein­sam mit den ande­ren von der Mission das Essen und die Getränke aus. Norma­ler­weise gibt es nur Tee, Kaffee kann nur zu beson­de­ren Anläs­sen ausge­schenkt werden. Natür­lich brach­ten wir auch den Kaffee selber mit, die sieben Kilo waren noch in Form von Bohnen und muss­ten mit unse­rer klei­nen Mühle gemah­len werden. Doch nach über einer Stunde Dauer­be­trieb streckte sie die Hufe und wir hatten das Dilemma: Die Gäste nutz­ten die Gele­gen­heit Kaffee zu trin­ken, während wir nicht mehr wuss­ten, womit wir ihn brühen soll­ten. Also packte ich die rest­li­chen Päck­chen in eine Tüte und klap­perte die klei­nen Läden im Bahn­hof Zoo ab. Immer­hin gibt es hier fünf kleine Cafés oder Imbisse, aber alle weiger­ten sich, den Kaffee für uns zu mahlen. Statt­des­sen wurde mir »groß­zü­gig« ange­bo­ten, doch statt­des­sen Kaffee dort zu kaufen, den würde ich dann auch gemah­len bekom­men. Eine Verkäu­fe­rin, der das Verhal­ten ihres Chefs offen­bar pein­lich war, gab mir den Tipp, es im Super­markt Ullrichs gegen­über zu versu­chen, da hätten wir eine Chance. Der erste Verkäu­fer den ich dort ansprach, schaute mich völlig pikiert an, erst der dazu kommende Geschäfts­füh­rer willigte sofort ein. Zum Glück gibt es doch noch Leute, die nicht ausschließ­lich aufs Geld schauen. Inner­halb von zehn Minu­ten war unser gesam­ter Kaffee gemah­len und wir konn­ten in der Bahn­hofs­mis­sion weiter­ma­chen.

Dort war mitt­ler­weile die Hölle los, der große Raum war komplett besetzt, auch im Vorraum und auf dem Bürger­steig stan­den die Obdach­lo­sen, aßen Christ­stol­len oder Stul­len, fast alle hatten einen Kaffee in der Hand. Unsere große Kaffee­ma­schine reichte längst nicht mehr aus, glück­li­cher­weise gab es noch zwei kleine Maschi­nen, die eben­falls ohne Pause liefen. Es war schön zu sehen, wie sich viele freu­ten, lecke­res Gebäck und heißen Kaffee mit Zucker und Milch zu bekom­men. Uns wurde bewusst, dass das, was für uns so normal und alltäg­lich ist, für andere Menschen ein beson­de­res Ereig­nis ist. Der jüngste von uns ist gerade 15 Jahre alt, er war glück­lich, den Menschen dort etwas geben zu können. Noch nie vorher war er so massiv mit der Armut in Berlin konfron­tiert worden. Aber auch für uns Ältere lösten diese paar Stun­den zwei beson­dere Gefühle aus: Einer­seits Beklem­mung und Trau­rig­keit ange­sichts der Armut, ande­rer­seits Befrie­di­gung, weil man diesen Menschen ein klei­nes biss­chen Freude machen konnte. Einer hat sich nach diesem Nach­mit­tag entschie­den, künf­tig ehren­amt­lich bei der Bahn­hofs­mis­sion mitzu­ar­bei­ten. Er wird dann einer von ca. 60 Ehren­amt­li­chen sein, die mehr­mals im Monat für ein paar Stun­den dort bei der Verpfle­gung der Obach­lo­sen und Armen helfen.
Übri­gens: Wenn Sie mal ein paar Euro erüb­ri­gen können, kaufen sie güns­tig Lebens­mit­tel ein, Obst, Brot, Milch, und brin­gen Sie es zur Bahn­hofs­mis­sion am Bahn­hof Zoo. Sie ist rund um die Uhr geöff­net.

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1 Kommentar

  1. Diesen inter­es­san­ten Erfah­rungs­be­richt noch mal nach vorne zu schie­ben, empfinde ich als eine gute Idee. Aber nicht weil sich in der Bahn­hofs­mis­sion die Läge nicht verbes­sert hätte. In der Bahn­hofs­mis­sion Berlin Zoolo­gi­scher Garten hat sich eine Menge verän­dert. So wurde die Mission z.B. komplett saniert und reno­viert. Auf dem Video ist noch die alte BMZ zu sehen, bei mir finden sie Videos, die den aktu­el­len Zustand der Räume zeigen. Für die Gäste bedeu­tet dies einen schö­nen, hellen und behei­zen Aufent­halts­raum mit knapp 50 Sitz­plät­zen nutzen zu können, nicht wie zuvor sich höchs­tens in dem klei­nen Vorraum mal kurz hinzu­set­zen. Ein rich­ti­ger Servier­tre­sen mit Plexi­glas dient der Hygiene, 2–3 Ehren­amt­li­che betä­ti­gen sich in Plas­tik­hand­schu­hen an der Essens- und Geträn­ke­aus­gabe. Inzwi­schen wir täglich Kaffee und kosten­lo­ser Tee ausge­schenkt. Weih­nach­ten 2010 wurden so wahn­sin­nig viele Kaffee­s­pen­den abge­ge­ben, dass auch Kaffee noch über den Januar hinaus ausge­ge­ben werden konnte. Deswei­te­ren ist inzwi­schen eine sehr gute Belie­fe­rung durch die Berli­ner Tafel und viel­fäl­tige Spen­den der umlie­gen­den Unter­neh­mer üblich.
    Aber nicht alles hat sich verbes­sert: Die Zahl der Bedürf­ti­gen und somit der Bahn­hofs­mis­si­ons­gäste steigt perma­nent, ebenso steigt die Zahl der Obdach­lo­sen und es ist abzu­se­hen, dass diese weiter­hin höher werden. Auch verschär­fend hinzu kommt ein großer Anstieg von polni­schen und gene­rell osteu­ro­päi­schen Obdach­lo­sen, der seit der Frei­zü­gig­keits­re­ge­lung zum 01.05.2011 noch mal ganz sprung­haft in die Höhe geschnellt ist.
    Sie haben einen sehr schö­nen Blog und ich würde mich freuen, wenn sie meinen Obdach­lo­sen­blog auch besu­chen möch­ten.
    Alles Gute für das neue Jahr und freund­li­che Grüße
    Fr. Wiec­zo­rek

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