Eigentlich begreife ich mich ja als Anarchist, bereits seit mehreren Jahrzehnten. Als Anarchist lehnt man Parteien ab, zumindest in der Gesellschaft, die man anstrebt. Von der sind wir jedoch noch ziemlich weit entfernt. Deshalb hatte ich mich entschlossen, Mitglied der einzigen Partei zu werden, deren Politik ich als links, sozial und antirassistisch einschätzte. Etwas, was zum Beispiel die SPD oder die Grünen in meinen Augen schon lange nicht mehr sind, wenn sie es überhaupt jemals waren. Einige Monate lang nahm ich auch an Parteiaktivitäten teil, mangels Zeit war das nicht viel, Tüten packen für den Haustürwahlkampf, so was. Parteiinterne Treffen besuchte ich aus Zeitmangel nicht – oder weil mich die Themen nicht so interessierten. Sie kamen mir teilweise etwas salonlinks vor. So sehe ich noch immer das Klassenproblem an erster Stelle der Gesellschaft, auch wenn natürlich z.B. das Thema „gendern“ sicher nicht unwichtig ist.
Um eine soziale Politik für diejenigen zu machen, die am unteren Rand der Gesellschaft stehen, muss man auch mit ihnen zusammenarbeiten. An manchen Stellen funktioniert das in Berlin mit der Linken, an den meisten aber nicht. Wenn sich die ex-prominente Petra Pau in Marzahn an den Aktionen der Tafel beteiligt, ist das eine der wenigen Ausnahmen. Ich wohne in einem Stadtteil, der erst 2001 an Mitte ging, obwohl er mit der Glitzerwelt der Friedrichstraße nichts zu tun hat. Die Mitte-Linken treffen sich im Wedding, aber verankert sind sie dort nicht. Die regelmäßig verteilte Zeitung spricht nicht die Sprache derjenigen, die in den Hinterhöfen im Wedding oder den 1950er-Jahre-Plattenbauten von Moabit wohnen. Die vor allem Angst davor haben, dass ihr Haus luxussaniert wird und sie sich dann keine Wohnung mehr leisten können.
Doch mein Austritt hat einen anderen Grund. Nach dem unsäglichen Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 an 1.200 Menschen am Rande Israels eskalierte der Antisemitismus weltweit. Und leider auch in Berlin, auch in der Linken. Als ehemaliger Autonomer war mir durchaus bewusst, dass es auch in meiner damaligen Szene Menschen gibt, die den Staat Israel abschaffen wollen, die von einem „zionistischen Gebilde“ sprachen. Es waren ja Linke, die einst einen Sprengsatz an der Synagoge in der Fasanenstraße deponiert hatten, der ausgerechnet am Jahrestag der Pogromnacht explodieren sollte. Als Militante der kurdischen PKK das Generalkonsulat Israels in Grunewald stürmen wollten und vier von ihnen erschossen wurden, sind sie von der Berliner Autonomenszene als Märtyrer und Helden gefeiert worden.
Ich selber arbeite in einer Gruppe mit, die seit Jahrzehnten an die Juden-Deportationen erinnert. In diesem Zusammenhang haben wir im November letzten Jahres eine öffentliche Ausstellung zur jüdischen Geschichte des Krankenhauses Moabits organisiert. Kurz darauf gab es einen Brandanschlag darauf, die gesamte Ausstellung wurde zerstört.
Für manche war klar, dass es Araber und/oder Islamisten gewesen sein müssen, die den Anschlag verübt haben. Wir haben uns dazu nicht öffentlich positioniert, weil wir nicht ausschließen, dass der Angriff vielleicht von anderer Seite kam. Sei es von Neonazis, oder aber auch von Linken. Denn seitdem und bis heute gibt es immer wieder teils militante Aktionen gegen Veranstaltungen, Sachen und Menschen, die sich mit Israel solidarisieren. Hintergrund ist das unverhältnismäßig harte Vorgehen der israelischen Armee gegen palästinensische Zivilisten, vor allem in Gaza. Das Leid der dortigen Bevölkerung, die Zerstörung jeglicher Infrastruktur und Zukunft, ist unerträglich und muss selbstverständlich benannt und verurteilt werden. Aber man darf nicht die Ursache dieser Angriffe verschweigen. Dass die rechtsradikale Regierung Israels mit grausamer Härte gegen die palästinensische Bevölkerung vorgeht, ist nicht zu verteidigen. Aber es rechtfertigt nicht die Forderung nach einer Vernichtung des jüdischen Staates! Auch in Israel selbst gehen seit einem Jahr Hunderttausende auf die Straße, sie fordern die Regierung zu Verhandlungen und einem Waffenstillstand auf.
In Berlin, aber auch in vielen anderen Teilen der Welt, protestieren vor allem Linke gegen das Vorgehen Israels und fordern gleichzeitig die Vernichtung des Staates. Dies ist purer Antisemitismus, der in keiner Weise antikolonistisch ist, wie oft behauptet wird. Leider gibt es diese Stimmen auch in der Linkspartei – und zwar nicht zu wenig. Als im Chat des Bezirksverbands Mitte zum Massaker vom 7. Oktober „Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand“ gefordert wurde, habe ich dort mit einem Kotz-Smiley reagiert. Dieser wurde gelöscht und auf meinen Protest hin auf die Netiquette verwiesen. „Inhaltlicher Dissens ist bitte in solidarischer Diskussion miteinander zu klären“ wurde mir mitgeteilt, und „Dissens muss ausgehalten werden“. Dissens in Fragen, ob man solch ein Massaker als Widerstand bezeichnen kann?
Nach dem Brandanschlag auf unsere Ausstellung hat sich jemand anderes aus der Bezirksgruppe bei mir gemeldet und bedauert, dass es dort öfter zu solchen Äußerungen gekommen ist. Er hat sogar für die Wiederherstellung der zerstörten Ausstellung 50 Euro gesammelt, auch wenn uns das Geld nie erreicht hat. Es ist also nicht so, dass die gesamte Partei als judenfeindlich einzuordnen ist. Aber solange man die Antisemiten dort gewähren lässt, kann ich nicht mehr Mitglied sein. Vor einigen Tagen sind in Berlin nun auch mehrere führende Politiker der Linken ausgetreten. Ich glaube mittlerweile nicht mehr, dass die Partei sind nochmal eindeutig und glaubhaft vom Judenhass distanzieren kann.
Schreibe den ersten Kommentar