Eben fuhr ich mit der S‑Bahn und es passierte: Ein junger Mensch betrat den Wagen und bot den Fahrgästen den “Straßenfeger” an. Wem das nichts sagt: Es handelt sich um ein Magazin, das von allem Möglichen handelt und dessen Erlös zur Unterstützung von Obdachlosen verwendet wird, zum Beispiel für den Verkäufer. Letzterer Fakt beeinflusst wiederum ersteren, so dass ein Großteil der Artikel sich mit dem Schicksal von Obdachlosen befasst. Manchmal ganz interessant, manchmal auch nicht. Es sieht auch nicht sehr poppig-bunt aus, eher so blassmatt. Der geneigte Käufer will ja vor allem helfen und hat Verständnis, dass seine Spende nicht für teures Hochglanzpapier verschwendet wird.
Wie dem auch sei, immer wenn so ein Händler die Bahn betritt, ist der ganze Waggon auch sprichwörtlich “betreten”. Da die Verkäufer selbst Obdachlose, also zumeist keine geschulten Entertainer sind, ähnelt ihr Vortrag eher einer Leistungskontrolle. Ein bis zwei Leute kaufen dann ein Exemplar und alle anderen wünschen sich, einen Zug später eingestiegen zu sein. Es mag sein, dass dies unter’m Strich immer noch genug einbringt. Aber mich würde ein so bedrückender Verkaufsprozess nerven. Außerdem sollte man Folgendes bedenken: Die Zielgruppe dieses Mediums sind Menschen, denen das Schicksal anderer nicht egal ist. Anders gesagt: keine Erfolgsmenschen. Warum sonst sollten sie S‑Bahn fahren?
Ich würde das ja ganz anders machen. Um möglichst viel Geld für die Obdachlosen zusammen zu bekommen, sollte man dahin gehen, wo die Kohle ist. Also nicht in die S‑Bahn. Lieber ins Adlon oder zum Flughafen. Auf Golfplätze! In teure Restaurants! Yachtanlegestellen! Das Dumme ist: Die Leute dort haben wenig Motivation, anderen zu helfen. Sonst säßen sie ja in der S‑Bahn. Also darf das Magazin nicht Straßenfeger heißen. Außerdem sollte es viel bunter sein. Und natürlich Hochglanz. Unbedingt! Reiche Leute haben Ansprüche. Schnelle Autos und dralle Blondinen! Aber wiederum nicht zu prollig. Eher so Lifestyle à la Vogue mit einem Schuss GEO. Kann ruhig 10 € kosten. Am besten noch mit aktuellen Börsentipps. Vielleicht sogar Kunsthandel und Klassische Musik. Teure Hobbys. Bloß nichts über Obdachlose! Das ist geschäftsschädigend. Eher so eine Rubrik: Tipps und Tricks, um eine Million stilvoll zu verprassen.
Die Käufer dürfen gar nicht wissen, wofür ihr Geld verwendet wird. Moment mal …vielleicht ist die Idee ja schon ganz alt? Vielleicht ist ja der Playboy insgeheim ein Obdachlosenmagazin? Ich kaufe mir sofort einen Playboy! Ha! Und noch etwas fällt mir gerade auf: Ich hätte diesen Artikel auch “Die Obdachlosen- Verschwörung” nennen können. Aber jetzt fang ich nicht noch mal an.
Alf Ator
Mit freundlicher Genehmigung der empfehlenswerten Illustrierten für Erlesenes, dem Maulbeerblatt aus Friedrichshagen.
Geniale Idee, schick deinen Bericht doch mal an den Straßenfeger. Wobei es vielleicht doch ausreicht den Verkäufern in der S‑Bahn bei zu bringen, wie man die Blätter besser an den Mann bringt.
Einige laufen ja schon rum. Erst letztens stieg einer in der Bahn ein, um Straßenfeger zu verkaufen und der hat seinem Hund ein eingeschweißtes Exemplar in den Mund gesteckt und ihn vorauslaufen lassen, während er recht fröhlich und locker seinen Verkaufstext von sich gab. Ich fand das Bild so klasse, dass ich direkt eins gekauft habe und bemerkte, dass etwa 30% der anderen Bahnfahrenden ähnlich reagiert haben.