Das Steinkreuz an der Marienkirche

Die zweit­äl­teste Kirche Berlins ist die Mari­en­kir­che in Mitte, und wer sie mal besucht hat, dem ist sicher das Stein­kreuz neben dem Haupt­por­tal aufge­fal­len. Über dieses Kreuz wissen mehrere Sagen etwas zu erzäh­len:

Da ist die von den drei Chor­kna­ben, die beschlos­sen, auf den Turm der Mari­en­kir­che zu stei­gen, um Dohlen­nes­ter auszu­neh­men. Während der Aktion strit­ten sie sich und einer der Jungs stürzte vom Turm­dach hinun­ter. Er hatte aber sein Chor­hemd an, und unter dieses weite Gewand fuhr der Wind und blähte es auf. Es wirkte wie ein Fall­schirm, und ruhig und sicher landete der Chor­schü­ler unten vor der Tür der Mari­en­kir­che. An der Stelle, an der er so glück­lich und unver­sehrt wieder den Erdbo­den berührt hatte, ließen die dank­ba­ren Eltern ein Stein­kreuz setzen.
Eine andere Sage erzählt, dass sich der Baumeis­ter in der Zeit des Kirchen­baus beim Karten­spiel verschul­dete. Da bot ihm der Teufel an, ihm das Geld zu geben, wenn dafür die Kirche bei der Einwei­hung durch einen absicht­li­chen Baufeh­ler einstürzte. Der Baumeis­ter willigte ein, dachte aber nicht daran, den Fehler einzu­bauen. Aber der Teufel lässt sich nicht einfach übers Ohr hauen und lauerte dem Baumeis­ter nach der Einwei­hung auf und erwürgte ihn. Zur Erin­ne­rung daran wurde das Kreuz errich­tet.
Davon gibt es auch die Version, der Baumeis­ter hätte seine Seele an den Teufel verkauft. Als dieser sich die verspro­chene Seele bei der Einwei­hung abho­len kam, wollte der Baumeis­ter sie ihm nicht mehr geben. Aus Wut darüber stieß ihn der Teufel vom Turm. Aber der Mantel des Baumeis­ters öffnete sich und … weiter: siehe oben.
Oder diese: Ein Zinken­blä­ser spielte am Sonn­tag nach der Voll­endung der Kirche auf dem Turm ein Lied zu Ehren Gottes. Das ärgerte den Teufel so sehr, dass er den Musi­ker vom Turm stieß. Der aber zerschellte nicht am Boden, weil sein Mantel sich im Flug wie ein Fall­schirm öffnete. Der Rest ist bekannt.

Am realis­tischs­ten ist aber sicher die Sage vom Probst von Bernau:

An einem Markt­tag war viel Volk in Berlin zusam­men gekom­men, auch um die Messe in der Mari­en­kir­che zu hören. Auf der Kanzel stand der Propst Niko­laus von Bernau und beschimpfte die Berli­ner Bürger, weil sie der Geist­lich­keit zu wenig Spen­den zukom­men ließen, und forderte erhöhte Abga­ben für Kirchen und Klös­ter. Es war für die in der Mari­en­kir­che Versam­mel­ten keine Freude, seinen Ausfüh­run­gen zuzu­hö­ren. Aber man war ja im Gottes­dienst und musste sich ruhig verhal­ten. Zähne­knir­schend, aber äußer­lich ruhig, hörten sich die Berli­ner diese Tira­den an. Als das Hoch­amt zu Ende war, ging ein Groß­teil der Männer nicht nach Hause, sondern blieb auf dem Platz vor der Kirche, dem Neuen Markt, stehen, um das soeben gehörte zu bespre­chen. Der Propst von Bernau beging nun einen entschei­den­den Fehler: anstatt sich zur Hinter­tür aus der Kirche fort­zu­steh­len und schleu­nigst nach Bernau zu fahren, schritt er mitten durch die erregte Menschen­menge vor dem Haupt­por­tal.
Man rief ihn an, sagte ihm böse Wahr­hei­ten ins Gesicht, rüttelte ihn am Ärmel seiner Soutane, begann auf ihn einzu­schla­gen, und plötz­lich hatte man den Propst von Bernau erschla­gen, ohne dass jemand hätte sagen können, wie das gesche­hen war und wer es eigent­lich getan hatte. Die erbit­ter­ten Berli­ner trugen Holz zusam­men und errich­te­ten einen Schei­ter­hau­fen, auf dem sie die Leiche des Props­tes verbrann­ten. Dafür wurde über die Stadt der päpst­li­che Bann verhängt, und nur durch die Zahlung großer Geld­sum­men und die Errich­tung eines Sühne­kreu­zes konnte sich die Stadt davon lösen.

In Wahr­heit waren es poli­ti­sche Ausein­an­der­set­zun­gen, die den Propst von Bernau 1325 das Leben koste­ten. Anfang des 14. Jahr­hun­derts saß Johan­nes XXII. auf dem Päpst­li­chen Stuhl. Er erklärte rund­her­aus, die Wahl eines deut­schen Königs wäre erst dann gültig, wenn er, der Papst, seine Zustim­mung erteilt hätte. Mit diesem Eingriff in alther­ge­brachte Rechte waren weder die Fürs­ten noch die Bürger der Städte einver­stan­den. In vielen Städ­ten Deutsch­lands wurden die Abge­sand­ten und Partei­gän­ger des “Heili­gen Vaters” miss­han­delt und verjagt. In Berlin nahm der Aufruhr solche Formen an, dass die empörte Menge die Sach­wal­ter des Paps­tes — und dazu gehörte der Propst von Bernau — erschlug.
Der Bann, der diesem Totschlag folgte, traf die Berli­ner Bürger nicht uner­war­tet. Doch für die Menschen der dama­li­gen Zeit, deren Leben und Alltag von reli­giö­sen Vorstel­lun­gen bestimmt wurde, war das schon eine schlimme Sache. Es durf­ten keine Gottes­dienste, keine Kinds­tau­fen, Eheschlie­ßun­gen und christ­li­chen Begräb­nisse mehr durch­ge­führt werden. Außer­dem war der Bann auch geschäfts­schä­di­gend. Es gab Kauf­leute, die die verfemte Stadt mieden, in der man, falls einem ein Unfall zusto­ßen sollte, noch nicht einmal anstän­dig unter die Erde gebracht wurde.
Die Auswir­kun­gen des Bannes waren in Berlin dadurch etwas gemil­dert, dass die Fran­zis­ka­ner weiter ihres kirch­li­chen Amtes walte­ten, denn sie stan­den ja in Oppo­si­tion zum Papst. Über zwan­zig Jahre dauerte dieser Zustand. Schließ­lich zahl­ten die Berli­ner Stadt­vä­ter eine große Geld­summe an den Päpst­li­chen Stuhl, um die Aufhe­bung des Bannes zu errei­chen. Der Props­tei von Bernau musste ein jähr­li­cher “Sühnep­fen­nig” gezahlt werden, was gleich­falls eine statt­li­che Summe war. Der Mari­en­kir­che musste der Rat von Berlin einen neuen Altar stif­ten und auf dem Neuen Markt, an der Stelle, da man den Propst verbrannt hatte, 1347 ein Sühne­kreuz errich­ten.
Das war ein Holz­kreuz auf einem hohen Sockel. Tag und Nacht flackerte in einer schmie­de­ei­ser­nen Vorrich­tung die Ewige Lampe. Bei einem der Stadt­brände wurde es vernich­tet und danach durch ein Stein­kreuz ersetzt. Später, in protes­tan­ti­schen Zeiten, dachte man nicht mehr an die alten Gescheh­nisse. Auf dem Platz vor der Kirche wurde Markt­tag abge­hal­ten, später gab es Abrisse und einen Stra­ßen­neu­bau. Daher beschloss man 1726, es zu verset­zen. Beim Trans­port brach der Sockel entzwei, und so erhielt das Stein­kreuz mit dem Rest des Sockels seinen Platz neben dem Haupt­por­tal der Mari­en­kir­che. Bis heute nicht geklärt ist die Funk­tion der fünf Löcher. Wahr­schein­lich ist, dass dort einmal eine Ewige Lampe ange­bracht war.

print

Zufallstreffer

Geschichte

Die toten Kinder von der Spree

Zwischen Kreuz­berg und Fried­richs­hain gehörte die Spree zu Mauer­zei­ten auf der vollen Breite zu Ost-Berlin, das Kreuz­ber­ger Ufer jedoch zum Westen. Kurz vor der kaput­ten Ober­baum­brü­cke hatte sich vor der Teilung Berlins eine Anle­ge­stelle für […]

Schreibe den ersten Kommentar

Hier kannst Du kommentieren

Deine Mailadresse ist nicht offen sichtbar.


*