Militärmissionen

Anwoh­ner der Berli­ner Straße in Pots­dam, die auf die Glie­ni­cker Brücke zuläuft, kann­ten sie. Genau wie die Touris­ten am Check­point Char­lie, mitten in Berlin: Fahr­zeuge der Sowje­ti­schen Armee fuhren unge­hin­dert über die Grenze nach West-Berlin. So wie auch Autos z.B. der US-Army in den russi­schen Sektor fuhren. Man wunderte sich, dass die verfein­de­ten Seiten so einfach in das gegne­ri­sche Gebiet wech­seln konn­ten, ohne Kontrolle, ohne jegli­che Probleme.
Es war eine Beson­der­heit in der Zeit des Kalten Kriegs, denn diese Fahr­zeuge gehör­ten zu den soge­nann­ten “Alli­ier­ten Mili­tä­ri­schen Verbin­dungs­mis­sio­nen”. Schon 1944 einig­ten sich die vier Alli­ier­ten nicht nur auf die künf­tige Auftei­lung Deutsch­lands und Berlins, sondern auch darauf, dass es Verbin­dungs­bü­ros der jeweils ande­ren Verbün­de­ten geben sollte. Faktisch hieß das: Die Sowjet­union unter­hielt für ihre SMM1 eigene Stütz­punkte in den West-Sekto­ren und die Ameri­ka­ner (USMLM)2, Briten (Brix­mis)3 und Fran­zo­sen (MMFL)4 im russi­schen Sektor. Die zur Vertrau­ens­bil­dung gedachte Maßnahme dürfte allen Betei­lig­ten später schwer im Magen gele­gen haben, schließ­lich hatte man dadurch den Feind im eige­nen Haus. Ande­rer­seits nutze man natür­lich auch selber die Möglich­kei­ten, die sich dadurch erga­ben, im gegne­ri­schen Gebiet spio­nie­ren zu können.

Die für die DDR zustän­di­gen west­li­chen Mili­tär­mis­sio­nen befan­den sich in Pots­dam (Ameri­ka­ner: Am Lehnitz­see 2, Briten: Seestr. 35), die der Russen in West­deutsch­land (Frank­furt, Baden-Baden und Bad Salzu­flen). Die Anzahl der Mann­schafts­stärke dieser Missio­nen war streng gere­gelt und sehr nied­rig. Alle SMM-Stütz­punkte hatten zusam­men 93 Leute, die Ameri­ka­ner 31, die Fran­zo­sen sogar nur 18. So waren prak­tisch alle Missio­nen gezwun­gen, als Haus­per­so­nal Bürger einzu­stel­len, die aus dem jewei­li­gen Gast­land stamm­ten. Nach der Wende und der Auflö­sung dieser Struk­tur Anfang der 90er Jahre bewahr­hei­tete sich, was vorher schon ein offe­nes Geheim­nis war: Die meis­ten Ange­stell­ten der Missio­nen arbei­te­ten nicht nur für sie, sondern auch für den eige­nen Geheim­dienst. Was sie in den Depen­dan­cen sahen und hörten landete schließ­lich bei ihren gehei­men Auftrags­ge­bern.
Die west­li­chen Missio­nen lagen zwar alle in Pots­dam, doch die eigent­li­che Auswer­tung der gewon­ne­nen Erkennt­nisse fand in West-Berlin statt. Die Briten hatten ihre Büros am Olym­pia-Stadion, die Fran­zo­sen im Quar­tier Napo­leon und die Ameri­ka­ner im Zehlen­dor­fer Föhren­weg 19.

Die Aufgabe der Mili­tär­mis­sio­nen war anfangs, die Zusam­men­ar­beit der Sieger­mächte vor Ort zu koor­di­nie­ren. Die Kommu­ni­ka­tion zwischen den Sekto­ren sollte gesi­chert sein, Austausch von Perso­nen, Toten, Infor­ma­tio­nen über Nazis. Faktisch hatten sie in den ersten Jahren auch diplo­ma­ti­sche Aufga­ben. Doch mit Beginn des Kalten Kriegs, spätes­tens mit der Berlin-Blockade 1948/49 sowie der Grün­dung von DDR und Bundes­re­pu­blik 1949 änderte sich das grund­le­gend. Nun nutz­ten die Missio­nen ihr Recht, sich im feind­li­chen Gebiet frei bewe­gen zu dürfen, zur geheim­dienst­li­chen Nach­rich­ten­be­schaf­fung. Schwer­punkt war die Ausspio­nie­rung mili­tä­ri­scher Einrich­tun­gen und Bewe­gun­gen. Inter­es­sant waren die Trup­pen­stärke, die Ausrüs­tung, Erkennt­nisse darüber, welche Trup­pen­teile in welchen Kaser­nen statio­niert waren.
Die Fahr­ten der west­li­chen Missio­nen wurden unter­ein­an­der genau abge­spro­chen. Die DDR war dazu in drei Zonen aufge­teilt sowie in Ost-Berlin und den Groß­raum Pots­dam. Im Rota­ti­ons­prin­zip wurde immer ein ande­res Land für die Spio­nage in einer Zone einge­setzt. Von den Missio­nen in Pots­dam fuhren die Autos dann geplante Routen ab, sie foto­gra­fier­ten mili­tä­ri­sche Flug­plätze und die dort landen­den Maschi­nen, film­ten Trup­pen und deren Ausrüs­tung. Aller­dings waren 25–30 Prozent der DDR für die west­li­chen Missi­ons­fahr­ten gesperrt. Die West-Alli­ier­ten setz­ten zusätz­lich noch Flug­zeuge ein, vor allem die Briten star­te­ten von Gatow aus fast täglich zu Flügen über Ost-Berlin und rund um die Stadt. Aller­dings durf­ten sie einen Radium von 32 Kilo­me­tern nicht verlas­sen. Der Haupt­teil der Erkun­dun­gen fand jedoch auf den Fahr­ten statt, meis­tens waren pro Mission drei Autos gleich­zei­tig in der DDR unter­wegs.

Natür­lich war es weder den Sowjets, noch der DDR-Staats­si­cher­heit recht, dass die West-Alli­ier­ten auf dem ostdeut­schen Gebiet spio­nie­ren konn­ten. Dabei mach­ten sie es in den West­sek­to­ren nicht anders. Immer wieder kam es zu Ausein­an­der­set­zun­gen und sogar zu Toten. So wurden 1959 und 1961 fran­zö­si­sche und briti­sche Missi­ons­an­ge­hö­rige mit Maschi­nen­pis­to­len beschos­sen, nach Anga­ben der Sowjets hielt man sie für Flücht­linge.
Bis 1990 gab es immer wieder Zusam­men­stöße, bei denen russi­sche oder NVA-Solda­ten, oder aber ostdeut­sche Stasi-Leute versuch­ten, die Aufklä­rungs­fahr­ten der Missio­nen zu behin­dern. Im März 1984 kam es dabei zu einem tödli­chen Zwischen­fall in der Nähe von Halle/Saale. Ein PKW der fran­zö­si­schen Mili­tär­mis­sion wurde bereits von einem Kommando der DDR-Armee sowie der Staats­si­cher­heit erwar­tet. Während der Fahrt zu einer Kaserne wurde das Fahr­zeug in die Zange genom­men und von einem weite­ren LKW gerammt. Der Fahrer der Fran­zo­sen war sofort tot, der Beifah­rer schwer verletzt. Fünf Tage nach dieser offen­sicht­lich geplan­ten Aktion wurde das Team, das für diesen diesen verant­wort­lich war, ausge­zeich­net.
Genau ein Jahr später kam es nörd­lich von Berlin zu einer regel­rech­ten Hinrich­tung. Bei der Ausspio­nie­rung eines russi­schen Stand­or­tes erschoss ein Sowjet­sol­dat den US-Missi­ons­an­ge­hö­ri­gen Arthur Nichol­son. Dieser war gerade ausge­stie­gen und foto­gra­fierte eine Fahr­zeug­halle, als der russi­sche Soldat auf ihn zu rannte und sofort mit der Maschi­nen­pis­tole auf ihn feuerte. Dieser Mord sorgte in West-Berlin, der Bundes­re­pu­blik und natür­lich in den USA  für große Empö­rung und Proteste, zumal er nicht in einem gesperr­ten Gebiet passierte. Als Stun­den später Vertre­ter der USMLM vor Ort eintra­fen, wurden sie von russi­schen Offi­zie­ren beschimpft.
In den 80er Jahren kam es zu zahl­rei­chen Zwischen­fälle, meist mit provo­zier­ten Auto­un­fäl­len. Allein gegen die Brix­mis-Ange­hö­ri­gen wurden von 1980 bis 1989 in insge­samt 137 Aktio­nen durch­ge­führt.
Dage­gen hatten die Mitglie­der der russi­schen SMM in all den Jahren keine Verletz­ten oder gar Toten zu bekla­gen. Einer der schwers­ten Zwischen­fälle war, als ein sowje­ti­scher Missi­ons-Wagen mit einer gebro­che­nen Panne ausge­rech­net in der Zehlen­dor­fer Clay­al­lee liegen blieb, nicht weit entfernt vom Haupt­quar­tier der US-Army in West-Berlin. Schnell waren Solda­ten da, die das Fahr­zeug “sicher­ten”, bis es nach Stun­den abge­schleppt werden konnte.

Brix­mis

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  1. Soviet Mili­tary Mission []
  2. United States Mili­tary Liai­son Mission of the Comman­der-in-Chief Group of Sovjet Forces []
  3. British Comman­ders-in-Chief Mission of the Sovjets Forces in Germany []
  4. Mission Mili­taire Fran­çaise de Liai­son près du haut Comman­de­ment sovié­tique en Alle­ma­gne []

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