Der Stasiknast Hohenschönhausen

Die 1995 gegrün­dete Gedenk­stätte Berlin-Hohen­schön­hau­sen befin­det sich an einem Ort, der auf das engste mit poli­ti­scher Straf­ver­fol­gung und Justiz­will­kür verknüpft ist. Hier wurde nach dem Zwei­ten Welt­krieg zunächst ein sowje­ti­sches Inter­nie­rungs­la­ger einge­rich­tet, danach das sowje­ti­sche Unter­su­chungs­ge­fäng­nis in der SBZ/DDR und schließ­lich die zentrale Unter­su­chungs­haft­an­stalt der Staats­si­cher­heit.

Ursprüng­lich gehörte das spätere Lager- und Gefäng­nis­ge­lände zum Besitz des Maschi­nen-Fabri­kan­ten Heike, der hier seit 1910 Produk­ti­ons­stät­ten aufbaute. Das Kern­stück des späte­ren Haft­ge­län­des verkaufte er 1938 an die “Natio­nal-Sozia­lis­ti­sche Volks­wohl­fahrt” (NSV), die dort eine Groß­kü­che bauen ließ.

Im Mai 1945 errich­tete die Rote Armee auf dem Gelände das “Spezi­al­la­ger Nr. 3”, dessen Aufnah­me­ka­pa­zi­tät von maxi­mal 2.500 Perso­nen zeit­weise erheb­lich über­schrit­ten wurde (Septem­ber 1945: über 4.200 Inter­nierte). Es diente als Sammel- und Durch­gangs-Lager, was bedeu­tet, dass von hier aus Häft­lings­trans­porte weiter in andere Lager gingen, sogar bis nach Workuta in der Sowjet­union. Insge­samt sollen unge­fähr 20.000 Menschen im Spezi­al­la­ger Nr. 3 inter­niert worden sein. Unge­klärt ist auch die Zahl der Toten, deren Schät­zung von 900 bis über 3.000 reicht. Die Lebens­be­din­gun­gen im Lager waren sehr schlecht, die hygie­ni­schen Verhält­nisse kata­stro­phal und die Verpfle­gung unzu­rei­chend.

Nach der Auflö­sung des “Spezi­al­la­gers” im Okto­ber 1946 wurde das Gelände als zentra­les sowje­ti­sches Unter­su­chungs­ge­fäng­nis in der SBZ (“Sowje­tisch besetzte Zone”, die spätere DDR) genutzt. In den Keller­an­la­gen der ehema­li­gen NSV-Groß­kü­che wurde ein Trakt mit unter­ir­di­schen bunker­ar­ti­gen Zellen ohne Fens­ter einge­baut, das “U‑Boot”. Dieser Trakt verfügte neben den Haft­räu­men über Zellen, in denen die Häft­linge beson­de­ren Folte­run­gen ausge­setzt werden konn­ten.

Zu den Inhaf­tier­ten dieses Gefäng­nis­ses zähl­ten neben NS-Verdäch­ti­gen vor allem mutmaß­li­che poli­tisch-ideo­lo­gi­sche Wider­sa­cher: Vertre­ter der gerade nach Kriegs­ende wieder erstan­de­nen demo­kra­ti­schen Parteien, aber auch Kommu­nis­ten sowie sowje­ti­sche Offi­ziere, die poli­tisch nicht lini­en­treu waren, bzw. auch nur in entspre­chen­den Verdacht gera­ten waren.
Im Zuge der Über­gabe sowje­ti­scher Besat­zungs­ein­rich­tun­gen an die Verwal­tungs­be­hör­den der DDR seit Anfang 1950 wurde das Gefäng­nis Hohen­schön­hau­sen an das Minis­te­rium für Staats­si­cher­heit (MfS) über­ge­ben, das hier bis zu seiner Auflö­sung seine zentrale U‑Haft-Anstalt betrieb.

Im Laufe ihres Bestehens als MfS-Gefäng­nis wurde die Haft­an­stalt mehr­fach erwei­tert und umge­baut. Um 1960 ließ die Stasi drei in Hufei­sen­form ange­legte und mitein­an­der verbun­dene Neubau­ten auf dem Gelände errich­ten: Einen Zellen­trakt, der im Keller über zwei Gummi-Dunkel­zel­len verfügte, ein Mehr­zweck­ge­bäude und einen Verneh­mer­trakt, in dem Häft­linge oft stun­den­lan­gen Verhö­ren unter­zo­gen wurden. Das “U‑Boot”, bis dahin der eigent­li­che Zellen­bau, wurde nur noch verein­zelt, zur Isola­ti­ons­haft, genutzt. Dieser Trakt diente nun haupt­säch­lich als Lager- und Mate­ri­al­raum. Im Zuge der Baumaß­nah­men des MfS wurden zudem zwei Frei­gang­höfe errich­tet und die frühere Wäsche­rei der NSV zu einem Haft­kran­ken­haus umge­baut.

Auch zur Zeit der DDR war die Geschichte des Gefäng­nis­ses Hohen­schön­hau­sen von der Verfol­gung poli­ti­scher Oppo­si­tio­nel­ler bzw. Verdäch­ti­ger geprägt. Die Vorwürfe, die zur Inhaf­tie­rung führ­ten, laute­ten zumeist auf “Boykott­hetze”, staats­feind­li­che Propa­ganda, Spio­nage oder Repu­blik­flucht. Die Behand­lung der Inhaf­tier­ten inner­halb der Haft­an­stalt wandelte sich dabei nach und nach: Der Einsatz physi­scher Gewalt wich zuneh­mend psycho­lo­gi­schen Metho­den.
Ein maßgeb­li­ches Prin­zip der MfS-Haft bestand in der seeli­schen Zermür­bung der Unter­su­chungs­häft­linge durch Orien­tie­rungs­lo­sig­keit und Isola­tion. So wuss­ten die meis­ten Gefan­ge­nen nicht, wohin man sie nach ihrer Verhaf­tung gebracht hatte. Ein direk­ter Kontakt zur Außen­welt war nicht möglich, und auch inner­halb der Haft­an­stalt war das Prin­zip der Isola­tion beherr­schend. Das Gefühl des Ausge­lie­fert­seins, der Ohnmacht gegen­über einem gleich­sam allmäch­ti­gen Staats­ap­pa­rat, bestimmte das Leben der Häft­linge.
Das Gelände der Unter­su­chungs-Haft­an­stalt war zugleich auch Sitz der Abtei­lung XIV (Straf­voll­zug) der Staats­si­cher­heit. In einem direkt angren­zen­den Gebäude war die Haupt­ab­tei­lung IX (Straf­recht­li­che Ermitt­lun­gen) unter­ge­bracht.

Gedenk­stätte Hohen­schön­hau­sen
Gens­ler­str. 66, 13055 Berlin
Tel. 030 — 9860 8230
Eintritt 8,00 EUR, ermä­ßigt 4,00 EUR, Schü­ler 1,50 EUR (Stand 2024)
Das Stasi-Gefäng­nis kann nur im Rahmen einer Führung besich­tigt werden.
Infos zu Führun­gen

 

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3 Kommentare

  1. Ich habe im Januar an einer Führung in Hohen­schön­hau­sen teilgenommen,und war nicht sonder­lich begeistert.Ein prof­fes­sio­nel­ler Berli­ner Reise­füh­rer welcher selbst ganze 10 monate einge­ses­sen hat, führte recht belang­los durch das Arreal. Grote­wohl­ex­press hätte uns sehr inter­es­siert, fiel aber ohne Begrün­dung aus.Der Herr hat eben nicht nur kurze Finger, sondern offen­bar auch ein kurzes Gedächt­niss. Ich weis nicht ob ein prof­fes­sio­nel­ler Touris­mus­experte unbe­dingt nach Hohen­schön­hau­sen gehört. Mir wäre ein ehema­li­ger Häft­ling mit etwas mehr Knast­erfah­rung und mehr Sensi­bi­li­tät lieber gewe­sen. Die Reise­füh­rer­pro­fis könnt ihr doch an das, an Disney­land erin­nernde, Mauer­mu­seum am Check Point Charly abge­ben. Für uns ehema­lige Häft­linge ist diese Art wie man mit unse­rem Schick­sal Geld verdient uner­träg­lich. Wenn der Berli­ner Senat so klamm ist und nicht genug öffent­li­che Mittel zu Verfü­gung stellt, dann macht es wie der Staats­si­cher­heits­dienst — lasst die Zellen zu.

  2. Hallo Rein­hard Fied­ler,
    erst­mal ei Hinweis: In dem Arti­kel wird der Stas­ik­nast vorge­stellt, er ist aber nicht von der Gedenk­stätte geschrie­ben und Belrin Street ist auch keine Seite der Gedenk­stätte. Daher geht die direkte Anrede an die falsche Adresse.
    Ich habe in den vergan­ge­nen Jahren etwa fünf Führun­gen mitge­macht, jeweils von verschie­de­nen Perso­nen, aber alle­samt ehema­lige Häft­linge. Natür­lich ist die “Quali­tät” der Führun­gen sehr unter­schied­lich, nicht jeder kann das so gut. Dass das nun von der eige­nen Knast­zeit abhängt, möchte ich bezwei­feln, zumal 10 Monate Hohen­schön­hau­sen nicht eben wenig sind. Trotz­dem finde ich es gut und wich­tig, dass die Führun­gen von Zeit­zeu­gen gemacht werden, weil sie glaub­wür­di­ger sind und man nach­fra­gen kann. Ich selber war zum Glück nur in der Keibel­straße und bin sehr froh, nicht nach Hohen­schön­hau­sen gekom­men zu sein, das ich erst nach der Wende kennen­ge­lernt habe. Dass es heute noch immer Stasi­op­fer gibt, die sich für diese Führun­gen bereit­stel­len, rechne ich denen sehr hoch an. Ich könnte das sicher nicht machen.
    Es ist auch nicht so, dass díe Gedenk­stätte mit Ihrem Schick­sal Geld verdient. Wie Sie ja im nächs­ten Satz selber schrei­ben, ist sie auch von Zuwen­dun­gen vom Senat abhän­gig. Die Konse­quenz, den Knast endgül­tig zu schlie­ßen und damit der Öffent­lich­keit vorzu­ent­hal­ten, das hätten die Verbände der ehema­li­gen Täter ja gerne, so dass die Erin­ne­rung an diese Unter­drü­ckungs­ma­schi­ne­rie ausge­löscht wird. Viel­leicht sind die Führun­gen noch zu verbes­sern, aber sie abzu­schaf­fen, wäre mit Sicher­heit der falsche Weg.

  3. Gerade die Quali­tät der Führun­gen ist ein gefun­de­nes Fres­sen für die still­ge­leg­ten Schlapp­hüte. Der zermürr­bende Alltag der Häft­linge und das verbre­che­ri­sche System der Isola­tion, Abschöp­fung durch Mitge­fan­gene soge­nannte Zellen­in­for­man­ten, und die allge­gen­wär­ti­gen Erpres­sun­gen der Verneh­mer-dazu die ekel­hafte würde­lose Ernäh­rung und vieles andere mehr, soll­ten durch sehr erfah­rene und intel­li­gente ehema­lige Häft­linge vermit­telt werden und dabei komm­tes auch auf Details an. Die Besich­ti­gung des Grote­wohl­ex­pres­ses gehört auf jeden Fall dazu. Grun­sätz­lich hat ein jeder das Recht seine Haft­er­leb­nisse zu schil­dern. An einem derart Leiden­ser­füll­ter Ort wie gerade Hohen­schön­hau­sen, soll­ten die Führun­gen mehr emotio­nale Tiefe besit­zen. Nach wie vor bin ich der Meinung, daß ein Prof­fes­sio­nel­ler Reise­füh­rer nicht unbe­dingt durch eine solche Haft­an­stalt Besu­cher­grup­pen gelei­ten sollte. Even­tu­ell, führt dann die Gattin den Imbiss vor der Tür — man stelle sich vor, daß in ein paar Jahren die ehema­li­gen Häft­linge, zu denen ich nunmal gehöre, 20 Euro Eintritt für Miel­kes Grusel­ka­bi­nett berap­pen müssen. Getreu dem Motto “DerMarkt regelt alles”

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