Hauptsache, der Schlips sitzt gerade

Offen­bar brin­gen die Partei-Pira­ten mehr frischen Wind ins Abge­ord­ne­ten­haus, als zuvor gedacht. Nach­dem sie vor der Wahl von der Konkur­renz diffa­miert und als chan­cen­los herun­ter­ge­re­det wurden, bestimmte danach vor allem ihr Erschei­nungs­bild die Bericht­erstat­tung. Es erin­nert an 1985, als Joschka Fischer selig in Turn­schu­hen seinen Minis­te­reid ablegte, was damals schon fast einem Skan­dal gleich kam.
Dass die Klei­dung heute noch immer zum Poli­ti­kum taugt, sollte man nicht meinen, es ist aber so. Sicher, ein Abge­ord­ne­ter im feschen Leder­dress würde sicher auch heut­zu­tage nur wenige Lieb­ha­ber finden und auch der Tanga sollte in einem Parla­ment nicht ohne weitere Klei­dungs­stü­cke getra­gen werden. Dass aber eine Kufiya, also ein soge­nann­ten Paläs­ti­nen­ser­tuch, zur Aufre­gung sorgt, ist schon verwun­der­lich. Und lächer­lich.

Der Berli­ner Pira­ten-Abge­ord­nete Gerwald Claus-Brun­ner jeden­falls trägt ein solches Tuch. Man weiß nicht, was er damit verber­gen will, aber das ist ja auch seine Privat­sa­che. Das sieht Char­lotte Knob­loch aber anders. Die ehema­lige Präsi­den­tin des Zentral­rats der Juden mokierte sich kurz nach der Wahl in einem offe­nen Brief über die Kufiya. Ohne Claus-Brun­ner vorher auch nur ein einzi­ges Mal persön­lich anzu­spre­chen forderte sie öffent­lich, er solle das Tuch künf­tig nicht mehr tragen, weil er damit “natio­nale, anti­jü­di­sche Gesin­nung und Sympa­thie für Gewalt­tä­tig­keit” signa­li­siere. Claus-Brun­ner wies die Anschul­di­gung sofort zurück, er versi­cherte, kein Anti­se­mit zu sein, würde sich aber trotz­dem nicht von dem Tuch tren­nen.
Nun kann man sicher unter­schied­li­cher Meinung über das Outfit des Abge­ord­ne­ten sein, auch die Farb­kon­bi­na­tion oran­ger Over­all und rote Kufiya ist ja nicht wirk­lich gelun­gen. Aber daraus eine anti­se­mi­ti­sche Gesin­nung zu unter­stel­len, ist bösar­tig.

Dabei werden Kufi­yas gar nicht nur von Paläs­ti­nen­sern getra­gen, auch wenn dies allein noch kein Grund wäre, sie zu verteu­feln. Sie sind im ganzen arabi­schen Raum verbrei­tet. Die schwarz-weißen Tücher sind vor allem bei den Paläs­ti­nen­sern beliebt, während die farbi­gen Kufi­yas, die auch Claus-Brun­ner trägt, eher in der Golf­re­gion zu finden sind. Und auch bei Juden war das Klei­dungs­stück im Nahen Osten schon vor hundert Jahren weit verbrei­tet.

Gerwald Claus-Brun­ner ist aber nicht nur der ewig gut geklei­de­ten Frau Knob­loch ein Dorn im Auge, sondern auch dem Tages­spie­gel. Der beklagte sich gestern, dass der Abge­ord­nete bei einer Gedenk­mi­nute für drei gestor­bene Ex-Poli­ti­ker sein Tuch nicht abnahm (“Neuer Eklat um die Kopf­tü­cher der Pira­ten”). Über die Perü­cken und Toupets ande­rer Abge­ord­ne­ter regte er sich schein­hei­li­ger­weise nicht auf.
Was ist so schlimm daran, dass jemand während einer Gedenk­mi­nute sein Tuch auf dem Kopf behält? Ist er dadurch ein schlech­te­rer Mensch? Belei­digt er damit etwa die Verstor­be­nen? Nein, er zeigt damit ledig­lich, dass er sich des Klei­der- und Verhal­tens­zwangs des “Hohen Hauses” nicht einfach unter­wirft, wie all die ande­ren Schafe, die brav in Hemd und Krawatte ihre Köpfe schüt­teln. Immer­hin sitzt Gerwald Claus-Brun­ner für dieje­ni­gen im Parla­ment, die ihn gewählt haben, nicht für die Klien­tel der FDP oder CDU.
Ob die Pira­ten eine poli­tisch ernst zu nehmende Partei sind, werden sie in den kommen­den Mona­ten zeigen. Das Outfit hat damit nichts zu tun. Dass sie sich den bürger­li­chen Konven­tio­nen nicht einfach unter­wer­fen, macht sie jeden­falls schon mal sympa­thisch. Zumal man weiß, dass für die Finanz­kri­sen von 2008 bis heute Poli­ti­ker und Bänker verant­wort­lich sind, die prak­tisch alle im Anzug, Hemd und Krawatte herum­ren­nen. Viel­leicht sollte man sich darüber mal aufre­gen!

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Gewaltmonopol

Treue Leser wissen, dass ich ein eher distan­zier­tes Verhält­nis zur Poli­zei habe. Das kommt nicht von unge­fähr, sondern hat sehr viel mit schlech­ten Erfah­run­gen zu tun. Natür­lich sehe ich die Notwen­dig­keit, dass es eine Poli­zei […]

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