62 Jahre gemeinsames Leben in Berlin

Das Ehepaar Mitter­nacht

Ehepaar MitternachtHerr und Frau Mitter­nacht, bitte beschrei­ben Sie doch mal Ihren Lebens­lauf hier am Gesund­brun­nen
Elli Mitter­nacht: Ich bin gebo­ren am 8.5.1920, in Kreuz­berg, gewohnt haben wir in der Görlit­zer Straße, da war auch die Schule. Da haben wir gewohnt bis 1933, dann sind wir in die Karl­straße gezo­gen, heute heißt die Rein­hardt­straße. 1934/35 war ich dann in der Haus­halts­schule vom Vater­län­di­schen Bauver­ein in der Burg­straße. Da haben wir dann Mittags­tisch gehabt für die Studen­ten.
Danach hab ich dann Krawat­ten­zu­schnei­de­rin gelernt, 1936/37 hab ich da gear­bei­tet in der Span­dauer Straße. Früher hier das May und Salm. Da war ich dann, bis ich gehei­ra­tet hab. Also bis 1939 und dann war ich Zuhause. Er war einge­zo­gen und am 11.10.39 haben wir gehei­ra­tet. Das war vor über 62 Jahren!
Robert Mitter­nacht: Am 1. Septem­ber wurde ich einge­zo­gen und im Okto­ber hab ich dann frei gekriegt, für die Hoch­zeit.
Elli Mitter­nacht: 1942 sind wir dann von der Brun­nen­straße 23 in die Ruppi­ner gezo­gen, da haben wir bis 64 gewohnt. Dann sind wir nach Britz gezo­gen. Und 72 sind wir nach Span­dau.
Mein Mann der ist gebo­ren am 12.12.1913, groß gewor­den ist er am Gesund­brun­nen, in der Brun­nen­straße 23. Die haben da im Hinter­haus gewohnt, da waren die Toilet­ten noch auf dem Hof.
Da haben wir gelebt bis 1942, bis zum Umzug in die Ruppi­ner Straße.
Robert Mitter­nacht: Ich war auf der Gemein­de­schule in der Zehde­ni­cker Straße. Da ist heute ein Gymna­sium drin.
Wir hatten da auch immer den schö­nen Weih­nachts­markt, in den 20er Jahren so. Das fing an an der Inva­li­den­straße und ging hoch bis zur Bernauer. Aber nur auf unse­rer Seite, gegen­über war alles dunkel. Aber auf unse­rer Seite war es schön hell und geschmückt.
Inter­es­sant war auch der U‑Bahn-Bau, als wir als Kinder da rumge­spielt haben.
Als Junge wollte ich eigent­lich Schrift­ma­ler werden, hatte auch eine Stelle gekriegt, aber der Meis­ter der hat gerne geschluckt. Dann hat er immer gesagt: Du hast die verkehrte Farbe genom­men. Und so weiter, also das hatte alles keinen Zweck.
Dann war ich bei Quant­meyer und Eike, in der Wilhelm­straße war das.
Elli Mitter­nacht: Ne, in der Krau­sen­straße, da an der Fried­rich­straße. So n Teppich­han­del.
Robert Mitter­nacht: 1939 bin ich dann einge­zo­gen worden. 45 war ich dann in der Inter­nie­rung, oben in Heide, Schles­wig-Holstein. Ich war ja Funker gewe­sen. 1946 sind wir dann zurück­ge­kom­men in die Ruppi­ner Straße 21.
Elli Mitter­nacht: Genau gegen­über vonne Kirche. Heute ist das ja alles weg, unsere Seite ist komplett weg, nur die Kirche steht noch da.
Robert Mitter­nacht: Nach dem Krieg hab ich dann an der Brun­nen­straße 100 gestan­den, mit dem eige­nen Stand:
“Der kalte Kuss,
ein Hoch­ge­nuss,
den jeder mal
probie­ren muss”.
Dann kamen die alle ausm Osten: Ja, wir wollen auch nen Kuss. Ne Mark hat das dann gekos­tet für die, 20 Pfen­nige für die West­ler, wir hatten ja verschie­dene Währun­gen, man musste das ja dann umrech­nen. 1946 war das.
Elli Mitter­nacht: Ne, 1946 hast du da noch gar nicht gear­bei­tet, erst ab 48. Und zur AEG bist du dann Anfang Novem­ber 1954 gekom­men. Da hast du dann als Wick­ler gear­bei­tet bis, ich glaube 31. Dezem­ber 1976.
Robert Mitter­nacht: Ja, wenn du dann 22 Jahre zurech­nest, bis zur Rente. In der Wicke­lei in der großen Halle, direkt an der Gustav-Meyer-Allee.

Wie haben Sie sich eigent­lich kennen­ge­lernt?
Elli Mitter­nacht: Der kleine Bruder von Robert hat eine Bekannte von mir gehei­ra­tet. Eigent­lich mochte ich die nicht, aber ich musste zur Hoch­zeit gehen. Meine Mutter und meine Tante sagten: Geh da mal hin, wenn die verhei­ra­tet ist, ist die Bekannt­schaft sowieso aus. Und da hab ich den Robert getrof­fen.
Robert Mitter­nacht: Das war Liebe auf den ersten Blick!
Elli Mitter­nacht: Ja, so unge­fähr.

An Robert Mitter­nacht: In der Brun­nen­straße, da hatte doch Ihr Vater oder Ihr Opa einen Buch­han­del.
Robert Mitter­nacht: Ja, das war der Opa Hermann und der Vater Georg. Der Opa hat das begon­nen, 1912.
Das nannte sich Altbuch-Verkauf Mitter­nacht. Das war auf so nem Wagen, wie er auch auf dem Markt steht, aus Holz.
Elli Mitter­nacht: Er nannte sich zwar Altbuch-Verkauf, der hatte aber auch neue Bücher. Und das war der Opa Hermann der war aber kein gebo­re­ner Berli­ner. Der hat das ange­fan­gen. Aber dann haben sie beide da gear­bei­tet, der Vater und Opa Hermann.
Robert Mitter­nacht: 1912 haben die damit ange­fan­gen, als sie in die Brun­nen­straße 23 einge­zo­gen sind. Sie müssen sich das so vorstel­len: In der Einfahrt stand der Wagen, da war ne Klappe, die wurde hoch­ge­klappt, so als Werbung. Und abends wurde das zusam­men­ge­klappt damit das zu war und dann nach hinten gescho­ben. Die Bücher blie­ben da alle drauf in der Nacht.
Elli Mitter­nacht: Das war so: Wenn ich denn da so Bücher hatte und hinge­gan­gen wär, dann hatte er sich die ange­kuckt und für zwei Bücher habs dann eins.
Robert Mitter­nacht: Und dann hat er immer hinten den Preis rein­ge­schrie­ben mit Blei­stift.
Elli Mitter­nacht: Und manch­mal hat bei den Büchern hinten das Ende gefehlt, dann hat der Opa einfach aus einem ande­ren Buch die letz­ten Seiten genom­men und da rein­ge­klebt. Wir haben dann immer gesagt: Opa was machste denn, das passt doch gar nicht rein mit der Geschichte. Aber er sagte, Haupt­sa­che da steht Ende.
Robert Mitter­nacht: Aber das hat nur der Opa gemacht, der Vater nicht. Er hat aber auch die Bücher repa­riert.
Wir hatten dann da drei Keller voll mit Büchern, das war das Lager.

Wie lange haben sie das gemacht?
Elli Mitter­nacht: Also Opa ist ja nach dem Krieg gestor­ben. 1945 musste die ja dann da alle raus und 45 ist er dann gestor­ben. Gebo­ren 1859 und 45 gestor­ben, der ist also 86 Jahre gewor­den.
Robert Mitter­nacht: Aber vorher ist der Vater Georg gestor­ben, Herz­ver­sa­gen. Am 16. Okto­ber 1940 schon mit 49 Jahren. Am 21. ist er beer­digt und am 22. ist unsere Toch­ter gebo­ren.
Elli Mitter­nacht: Und die Olga, das war noch seine dritte Frau, 1938 hat er die gehei­ra­tet, die hat den Bücher­ver­kauf noch weiter­ge­macht. Aber nur bis 1944. Aber die ist dann auch noch 95 gewor­den, die ihre Geschwis­ter sind auch alle alt gewor­den, alle über 80.

Warum hat sie dann mit dem Verkauf aufge­hört?
Elli Mitter­nacht: Wegen dem Krieg wahr­schein­lich. Aber da waren wir ja nicht hier. Mein Mann war ja im Krieg und dann inter­niert und ich bin mit dem letz­ten Zug aus Berlin raus­ge­fah­ren, auch nach Schles­wig-Holstein.
Robert Mitter­nacht: Und ich hatte das Glück gehabt, dass ich doch da gleich in der Inter­nie­rung war, da konnte ich nach der Entlas­sung gleich zu meiner Frau, die war ja nur zehn Kilo­me­ter entfernt.
Elli Mitter­nacht: Danach sind wir dann wieder zurück in unsere Wohnung in der Ruppi­ner Straße. Da war zwar schon ein Zimmer mit Beschlag belegt, aber in das andere konn­ten wir wieder einzie­hen.
Robert Mitter­nacht: Ich wollte noch erwäh­nen, das Haus in der Brun­nen­straße 23, das hat dann nach dem Krieg der Russe genom­men. Die Frauen von denen haben dann in unse­ren Wohnun­gen gewohnt. Jetzt kam dann mein Onkel, der war Elek­tri­ker und sagte zu mir: Kommt, arbeite doch mit bei uns. Ich frage wo denn, da sagte er: Beim Russen. Na ja, ich habs gemacht dann, und dann kam ich ins selbe Haus, in meine alte Wohnung rein und musste da die Leitun­gen neu verle­gen! Das war schon merk­wür­dig.

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