Unsichtbare Risse

Manch­mal bin ich einfach nur fassungs­los vor Trau­rig­keit. Ich wusste, dass Kamal zurück­ge­gan­gen ist in seine Heimat und dort gekämpft hat. Vor eini­gen Wochen wurde er dort getö­tet. Nun hat sich hier in Berlin seine Schwes­ter Leela umge­bracht, kurz nach­dem sie ihre Prüfung als Rechts­an­wäl­tin geschafft hat. Die ganze Fami­lie ist ausge­löscht, wie die so vieler Flücht­linge. Und ich sitze wieder mal hier und bin so verdammt hilf­los.

Ursprüng­li­cher Arti­kel vom 14. August 2015:

Ich kam in den Raum in einem Hinter­haus im Schö­ne­berg. Zehn, zwölf Menschen saßen darin, die Stühle an den Seiten aufge­stellt, in der Mitte ein Tisch. Es war ein schwarz-weißes Foto, das darauf stand, schon einige Jahre alt, und zeigte eine ernst blickende Frau.
Ein paar der dunkel­häu­ti­gen Männer und Frauen spra­chen leise mitein­an­der, als ich rein kam nick­ten sie mir zu. Ich kannte sie fast alle und viele ihrer Geschich­ten. Und doch waren sie mir fremd in ersten Moment, denn trotz ihrer schlim­men Erleb­nisse hatte ich die meis­ten von ihnen bisher stark, hoff­nungs­froh, oft fröh­lich erlebt. Auch in diesem Raum hatten wir erst vor Kurzem eine Hoch­zeit­feier, sie ging bis zum Sonnen­auf­gang, als die Poli­zei zum zwei­ten Mal Ruhe anmahnte. Dies­mal aber war es so ganz anders.

Die meis­ten Gäste waren Lands­leute mit ähnli­chem Schick­sal. Alle hatten bunte Klei­dung ange­legt, aber die Gesich­ter waren nicht bunt. Manchen sah ich an, dass sie mit den Gedan­ken bei der eige­nen Fami­lie waren, voll Sorgen. Man kommt zusam­men, wenn es wieder jeman­den getrof­fen hat, und man sieht doch nicht nur die ande­ren, sondern auch die eige­nen Eltern, Geschwis­ter, Freunde in der Heimat.

Kamal und Leela1, die eigent­lich studie­ren woll­ten, aber wie die ande­ren ihr Land verlas­sen muss­ten, hatten jetzt ihre Mutter verlo­ren. Die Armee hatte ihr Haus bombar­diert, sie hatte keine Chance. Es war noch nicht lange her, der Anruf kam erst vor ein paar Stun­den. Und nun saßen sie beide da, der Bruder versuchte die weinende Schwes­ter zu trös­ten, konnte aber seine Tränen selber nicht halten. Ich ging zu den beiden, umarmte sie und brachte kein Wort heraus. Dann weinte auch ich los, weil ich meine lieben Freunde in ihrer Verzweif­lung nicht helfen konnte.

Sie mach­ten sich Vorwürfe, weil sie wegge­gan­gen waren. Dabei war Kamal schon längst auf den Listen des Geheim­diens­tes, nur mit falschen Papiere hatte er sein Land verlas­sen können. Es gab keine andere Möglich­keit mehr, aber was zähl­ten jetzt schon solche Fakten. Jetzt saßen da zwei verzwei­felte Menschen mitte Zwan­zig, die nicht nur ihre Heimat verlo­ren hatten, sondern auch noch den liebs­ten Menschen dort. Die nicht wuss­ten, wie es nun weiter gehen soll.

Ich blieb zwei oder drei Stun­den. Leela erzählte irgend­wann, wie ihre Mutter sie immer wieder bestärkt hatte, sich als Mädchen und junge Frau nicht unter­krie­gen zu lassen. Wie sie dafür von Nach­barn ange­fein­det wurde. Und doch hart blieb und damit ein großes Vorbild für ihre Kinder war. Wir aßen Kekse und tran­ken Tee, hörten nun auch Geschich­ten von ande­ren, spra­chen über die unge­wisse Zukunft. Als ich ging, hatte ich das Gefühl, selbst einen Verwand­ten verlo­ren zu haben.

Auf der Fahrt nach Hause, durch die Berli­ner Wirk­lich­keit, nahm ich sie wieder wahr, die sonst nicht gese­hen werden, weil wir durch sie hindurch schauen. Die Menschen sind kaum exis­tent im Bewusst­sein der meis­ten Deut­schen, dabei leben sie mitten unter uns. Wir sehen sie nur als “die Auslän­der”, manch­mal als Bedro­hung, selte­ner als Opfer. Dabei sind sie oft nicht nur Opfer von Rassis­mus in unse­rem Land, sondern kamen schon geschun­den und gejagt hier an. Sie sind dieje­ni­gen, die es wenigs­tens bis hier her geschafft haben und damit schon eine Minder­heit. Was sie in ihrer Heimat erlebt haben, ob Krieg, Folter, Hunger, Unter­drü­ckung, das wissen wir nicht. Und es inter­es­siert uns auch nicht, oft nicht mal, wenn wir sie durch die Schule oder den Betrieb persön­lich kennen. Sie sind unsicht­bar, höchs­tens inter­es­sant als Staf­fage beim Karne­val der Kultu­ren. Aber das Leid der Erin­ne­rung und der Tren­nung, das nehmen wir nicht wahr. Dabei gibt es kaum Flücht­linge, die keine Risse in der Seele haben.

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Berlin

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5 Kommentare

  1. Lieber Aro, deine einfühl­sa­men Worte machen mir deut­lich, dass auch ich sehr oft über Menschen hinweg­sehe, die schein­bar nicht dazu gehö­ren. Auslän­der, Obdach­lose oder Punks stel­len in unerer Gesell­schaft tatsäch­lich ledig­lich Stören­friede dar. Auch ich bin erzie­hung­be­dingt geprägt auf west­li­che Zivi­li­sa­tion, Leis­tung und Ordnung.

    Obwohl auch ich in der Puber­tät zum Rebel­len gewor­den bin, fällt es mir sehr schwer in der heuti­gen Zeit Ener­gie aufzu­brin­gen für unsere dama­li­gen Träume und gegen die herr­schen­den Vorur­teile in der Bevöl­ke­rung anzu­kämp­fen. Dazu sind meine Lebens­er­fah­run­gen einfach zu nega­tiv. Aber ich tue was ich kann.

    Übri­gens: Die kleine “Camping­gruppe” neben dem Fußweg vom Zoo zum Schleu­sen­krug, ist seit gestern endgül­tig “entsorgt” worden. Der Anblick von Obdach­lo­sen war den Spazier­gän­gern offen­sicht­lich nicht mehr zuzu­mu­ten. In dieser klei­nen, fried­li­chen Gemein­schaft gab es eine Art of “Chef” der auf die Sauber­keit an diesem Platz sorgte und auch sonst wurde man ich keiner Weise beläs­tigt.

    Nun müssen sich diese Menschen einen Platz suchen, wo sie nicht gese­hen werden…

    Der Gegen­satz an dieser Stelle wird mir auf meinen Rund­fahr­ten sehr fehlen, um ein reales Bild unse­rer Stadt zu zeigen.

  2. Mein lieber,
    ich danke Dir für Deine Fürsorge Ande­ren gegen­über die Trost und Hilfe brau­chen. Ich bin stolz auf Dich.
    Micha­els Beitrag gefällt mir gut. Nur die Aktion nicht, die mal wieder unnütz gesche­hen ist.

  3. Es tut mit leid für Dich, denn jetzt sind schon viele verstor­ben denen Du immer versucht hast zur Seite zu stehen. Es muntert mich nur auf meine Augen noch etwas mehr zu schär­fen.
    Danke für den Bericht.

    • du hast recht, vor allem das gequt­sche unse­rer Poli­ti­ker die nicht zu Potte kommen. Was da für Zeit vergeht und wieviele Menschen haben kaum was zu essen und zu trin­ken. Von Hygiene garnicht zu reden, einfach furcht­bar.

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