Böse. Böser. Rocker.

Was ist von der aktu­el­len Anti-Rocker-Aufre­gung in Berlin zu halten? Sind die Hells Angels in Wirk­lich­keit gar keine Engel? Und die Bandi­dos keine Bandi­ten? Ein Blick zurück:
Als Jugend­li­cher bin ich in einer Zeit aufge­wach­sen, in der “die Rocker” gerade “die Studen­ten” als Feind­bild der bürger­li­chen Gesell­schaft ablös­ten. Born to be wild passte super zu unse­rem Lebens­ge­fühl, dazu begeis­terte uns 15-Jährige Udo Linden­berg mit seinen Songs von Trebern und Rockern. Wir trugen Jeans­ja­cken mit möglichst vielen Aufnä­hern, die Zunge der Stones war Pflicht. Dann malten wir uns Adler und Paro­len drauf und ärger­ten uns, dass man die immer wieder nach­zeich­nen musste, denn unsere Filzer waren ja noch nicht wasser­fest.

In der Nach­bar­schaft gab es ein paar Vorbil­der, schon zehn Jahre älter, aber abso­lut beein­dru­ckend. Mit alten BMW-Motor­rä­dern fuhren sie im Dutzend durch den Kreuz­ber­ger Kiez, rote Ampeln und andere Konven­tio­nen wurden igno­riert. Sie trugen keine Helme, dafür aber schwarze Leder­ja­cken mit Jeans­wes­ten darüber. Auf dem Rücken das Emblem “Phoe­nix MC”. Schon damals war der Jodel­kel­ler in der Adal­bert­straße ihr Treff­punkt — bis heute kann man dort noch einige der Alt-Rocker tref­fen, sofern sie nicht an Leber­zir­rhose oder Lungen­krebs gestor­ben sind. Wer die origi­na­len Phoe­nix-Leute sehen will, muss sich den Kino­film “Chris­tiane F.” anschauen, in dem sie eine Saal­schlacht nicht nur spie­len. Damals waren die meis­ten schon auf Harleys umge­stie­gen, deren Sound in den Kreuz­ber­ger Stra­ßen war einfach das Größte! Dazu kam, dass wir stän­dig Ärger mit der Poli­zei hatten und auf wessen Seite die Phoe­nixe stan­den, ist wohl klar. In der Walde­mar­straße besetz­ten sie 1980 sogar ein eige­nes Haus, bis heute prangt dort ein Wand­bild über mehrere Etagen, das einen Rocker mit seiner Maschine zeigt. Ende der 80er Jahre verab­schie­de­ten sich Phoe­nix aus Kreuz­berg und tauch­ten im Februar 1990 als Hells Angels in der Moabi­ter Quit­zow­straße wieder auf.

Wann genau der Schritt gemacht wurde vom reinen Biker­club zur orga­ni­sier­ten Krimi­na­li­tät, ist unklar. Wahr­schein­lich hat es sich über einen länge­ren Zeit­punkt dahin entwi­ckelt. Sicher ist, dass sich ein Teil der Angels mit Drogen­han­del, Prosti­tu­tion und Raub­über­fäl­len finan­ziert. Dabei gingen sie mit der entste­hen­den Konkur­renz nicht zimper­lich um. Mit schwe­ren Körper­ver­let­zun­gen, Messer­ste­che­reien und sogar Mord bekämpf­ten sich vor allem die Hells Angels und Bandi­dos. Dies und die ande­ren Straf­ta­ten bestim­men seit Jahren das Bild der Rocker.

Ganz anders die Selbst­dar­stel­lung, in der viel von Freund­schaft, Vertrauen und Ehrlich­keit die Rede ist. Die Hells Angels (aber auch die ande­ren Grup­pen) roman­ti­sie­ren sich, sie bauen einen Mythos auf wie vom Lonely Rider, der nur seine Kame­ra­den und sein Pferd kennt. Teil­weise mag das auch stim­men. Ich habe schon ein paar Angels kennen­ge­lernt, die gar nicht in das Bild des bruta­len Türste­hers und Gewalt­tä­ters passen. Denn das ist die andere Seite der Rocker, die noch immer viel mit dem Wild und Frei der ersten Jahre zu tun hat, auch wenn es gar nicht mehr die glei­chen Leute wie damals sind. Doch wenn jemand ins Kran­ken­haus oder in den Knast kommt, dann kümmern sich seine Gang­mit­glie­der auch um ihn und seine Fami­lie. Wer seinen Job verliert, wird finan­zi­ell unter­stützt, wer Ärger hat, kann sich der Hilfe seiner Kumpels sicher sein. Sie stehen fürein­an­der ein, so wie es “außer­halb” meist nicht der Fall ist. Die Gemein­schaft ist das Wich­tigste. Es gibt unter den rund 300 Hells Angels in Berlin sowie den 400 bis 500 Mitglie­dern ande­rer Grup­pen sehr viele, die genau deswe­gen dort sind. Sie sind nicht alles stier­na­ckige Muskel­män­ner wie die, die man im Fern­se­hen sieht. Trotz­dem sind sie ihrem Klub nicht weni­ger treu als die, die so martia­lisch auftre­ten.

Dass das unter­schie­den werden muss, hat sogar der Innen­se­na­tor erkannt, denn er hat nur eine der drei wich­ti­gen Hells-Angels-Grup­pen verbo­ten. Das Chap­ter “Berlin City” galt als das brutalste. Und es war ausge­rech­net die Gruppe, die Anfang 2010 von den Bandi­dos zu den Angels wech­selte.
Sicher sind auch die Mitglie­der der ande­ren Grup­pen nicht alles Engel — egal ob sie sich so nennen oder nicht. Aber das hyste­ri­sche Geschrei über die bösen Rocker igno­riert, dass eben nur ein Teil von ihnen krimi­nell ist.

Natür­lich haben auch erwach­sene Menschen das Recht, sich in Cliquen zusam­men­zu­schlie­ßen, Rituale zu entwi­ckeln, sich Embleme anzu­ste­cken, gemein­same Partys zu feiern und mit hundert Leuten auf Motor­rä­dern über’s Land zu fahren. Ob einem das martia­li­sche Auftre­ten gefällt oder nicht, ist dabei völlig egal, solange andere Menschen nicht bedroht und verletzt werden.
Hells Angels, Bandi­dos, Gremium oder Rolling Wheels sind in erster Linie Motor­rad­clubs und sie haben das Recht, ihre Frei­zeit entspre­chend zu gestal­ten.
Der Teil von ihnen, der im orga­ni­sier­ter Krimi­na­li­tät verstrickt ist, soll auch verfolgt werden, keine Frage. Pauschal­ur­teile wie gestern im RBB-Info­ra­dio, in denen die Hells Angels mit der SA gleich­ge­setzt werden, sind jedoch nichts als popu­lis­ti­sche Hetze.

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2 Kommentare

  1. hallo,
    muss schon sagen, ein super bericht.
    war auch alles so gelau­fen. kann ich aus eigen­erfah­rung bestä­ti­gen, war bei manchen ereig­nis­sen selber dabei.
    gruß wolle.

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