Durch die Birkenstraße

Spek­ta­ku­lär ist sie nicht gerade. Die Birken­straße in Moabit wird an ihrem Anfang an der Rathe­nower Straße von 50-Jahre-Wohn­häu­sern domi­niert. Ein paar von ihnen sind in den vergan­ge­nen Jahren neu gestri­chen worden, doch wirk­lich schö­ner sind sie dadurch nicht gewor­den.
Gegen­über etwas Grün an dem Komplex aus den 70er oder 80er Jahren: Schule, Jugend­club, Jugend­amt, Jugend­ge­richts­hilfe — nur Jugend­li­che sieht man hier nicht.
Vor der alten Tank­stelle, in der jetzt eine Auto­werk­statt resi­diert, grup­pie­ren sich sechs Bänke um ein Blumen­beet mit Beton­ein­fas­sung. Blumen sind nicht drin, nur Unkraut. Bonjour Tris­tesse.

Grün aller­dings beglei­tet mich auf dem Weg durch die Birken­straße, auch wenn die meis­ten Bäume in Wirk­lich­keit Linden sind. Macht aber nichts.
Das andere Grün ist eines, das es so in Berlin nicht mehr oft gibt: Viele der Häuser dieser Straße haben noch Vorgär­ten. Selten gepflegt, aber immer­hin.
“Grünt mit!” fordert das Plakat des Quar­tiers­ma­nage­ments Moabit Ost auf. “Am Sonn­tag können Sie / kannst Du wieder mit Nach­barn zusam­men Baum­schei­ben begrü­nen. Zwie­bel­pflan­zen (müsste es nicht eigent­lich Pflan­zen­zwie­beln heißen?), Werk­zeug und Erde sind kosten­los.” Man gibt sich Mühe.
Baum­schei­ben sind nicht etwa das Ergeb­nis von zersäg­ten Bäumen, sondern die Stel­len rund um die Stra­ßen­bäume herum — oder die Fläche, auf denen mal welche stan­den.

Rund um die Kreu­zung zur Wils­na­cker Straße könnte man meinen, die 50er Jahre wären noch nicht vorbei. Die voll verschlei­erte Frau, die gerade über die Kreu­zung geht, passt über­haupt nicht in das Bild. Keine auslän­di­schen Namen auf den Klin­gel­schil­dern, höchs­tens mal ein polni­scher. Aber die “-inskis” und “-owskis” sind ja schon längst assi­mi­liert. Nur aus dem Haus Nr. 3, wo die vielen Satel­li­ten­schüs­seln an den Balkons hängen, hört man türki­sche Musik.
Diese Kreu­zung ist vermut­lich die unfall­träch­tigste im ganzen Stadt­teil. Zwei breite, gleich­be­rech­tigte Stra­ßen, das über­for­dert offen­bar manche Auto­fah­rer. Sie können es sich nicht vorstel­len, dass auch hier derje­nige Vorfahrt hat, der von rechts kommt. Selbst zwei Poli­zei­au­tos sind hier schon zusam­men­ge­sto­ßen.

An der Einmün­dung der Bandel­straße endet die Nach­kriegs­be­bau­ung. Hier began­nen am 3. Februar 1945 die us-ameri­ka­ni­schen Bomber ihr Zerstö­rungs­werk, einem einzi­gen Tag wurden Mitte, halb Kreuz­berg und dieser Teil Moabits platt gemacht.
Gleich der erste Altbau ist beein­dru­ckend. Fette weiße Säulen flan­kie­ren das Eingangs­por­tal, das von einer Video­ka­mera bewacht wird. Wie ein Schloss legt sich das Gebäude um die Ecke, Putten über dem Eingang, grim­mige, stei­nernde Gesich­ter zwischen den Etagen, ein beein­dru­cken­der Koloss. Als Kontrast dazu haben ein paar junge Frauen im vergan­ge­nen Früh­jahr zwischen Gehweg und Fahr­bahn einen Garten ange­legt. Rund 40 Quadrat­me­ter groß, als Baum­schei­ben kann man das kaum noch bezeich­nen. Darin ein Schild mit durch­ge­stri­che­nem Hunde­hau­fen. Eine kleine Bank, Sonnen­blu­men, alles nicht beson­ders gepflegt, aber schön.

Nur wenige Meter weiter die Einfahrt der städ­ti­schen Leichen­halle, “Landes­in­sti­tut für Rechts­me­di­zin”. Die Reali­tät sieht tris­ter aus als es die Fern­seh­se­rien vorgau­keln. Mehr­mals täglich fahren Leichen­wa­gen rück­wärts auf’s Gelände, selten auch mal ein Kran­ken­wa­gen. Immer dann, wenn es eine Todes­ur­sa­che zu klären gibt.
Das Insti­tut ist Teil des ehema­li­gen Kran­ken­hau­ses Moabit, dessen breite Einfahrt durch Schran­ken versperrt ist. Auf dem großen Schild des “Gesund­heits- und Sozi­al­zen­trums Moabit” sind zahl­rei­che Einrich­tun­gen aufge­lis­tet: Arzt­pra­xen, Psycho­lo­gen, Behin­der­ten­hilfe. Und im Innen­be­reich steht derzeit ein großes Zelt, in dem Flücht­linge betreut werden, aber das sieht man von hier aus nicht. Und die meis­ten wolles es wohl auch nicht wissen.

In der Birken­straße gegen­über ein Lokal, das nicht so rich­tig weiß, was es sein will. Nach außen schick, die kürz­lich in der Nach­bar­schaft verteil­ten Flyer versu­chen einen seriö­sen Eindruck zu verschaf­fen (“Welt­weit einma­lige Atmo­sphäre, elegan­ter Nicht­rau­cher­be­reich”). Doch in Wirk­lich­keit liegen drau­ßen zerschla­gene Gläser und Flaschen, nachts wird man beim Vorbei­ge­hen als Passant von Gästen ange­pö­belt.
Ganz anders der “Back & Coffee Shop”, ein klei­nes Café mit etwas Pari­ser Charme. Zehn Meter von der Straße zurück­ge­setzt kann man in warmer Sonne herr­lich drau­ßen sitzen und seinen Milch­kaf­fee genie­ßen.

An der Ecke zur Perle­ber­ger endet der ruhige Teil der Birken­straße. Hier tost der Auto­ver­kehr von und nach Wedding, hier stehen die Fahr­gäste an den Bushal­te­stel­len, Jugend­li­che warten vor der Büche­rei. Das orien­ta­li­sche Restau­rant Osmanya hat seinen Außen­be­reich weit auf den Gehweg vorge­scho­ben, große, weiße Sonnen­schirme unter­strei­chen den Gebiets­an­spruch. Es nutzt die ganze untere Etage des Hauses, einem schö­nen Komplex, von dem gesagt wird, dass er bis vor weni­gen Jahren innen ziem­lich rott gewe­sen ist. Aber der Turm an der Front­seite und die ange­deu­te­ten Giebel mit den Bogen­fens­tern sind jetzt sehr beein­dru­ckend und verbrei­tet einen gemüt­li­chen Charme. Bis zur Sanie­rung befand sich hier übri­gens eine der bekann­tes­ten Kiffer­knei­pen der Stadt.
Direkt dane­ben, durch die Bäume kaum sicht­bar, versteckt sich eine kleine Straße, Sack­gasse vom Steph­an­platz aus. Sie ist der Ruhe­pol der lauten Kreu­zung.
Ruhe verspricht auch die Heilige-Geist-Kirche, deren Eingang direkt auf die Kreu­zung zeigt. Wenn aber mittags ihre Glocken losle­gen, ist es mit der Ruhe vorbei, dann versteht man auf der Straße und in den umlie­gen­den Häusern kein Wort mehr. Aber schön ist auch sie, mit ihren schmut­zig-roten Ziegeln und dem burg­ar­ti­gen Charak­ter.

Von links trifft nun die Lübe­cker auf die Birken­straße. Gegen­über ist die Einfahrt zum Park­haus, unauf­fäl­lig die gelbe Well­blech­wand des Treff­punkts, “Bürste” nennt sich der Verein der ihn betreibt, Bürger für den Stephan­kiez. Es ist einer der weni­gen Nach­bar­schafts­ver­eine, die tatsäch­lich bei den Bürgern veran­kert ist. Hier ist auch das Gebiet des Jungen, der immer mit einem klei­nen Radio am Ohr seine Runden zieht, seit Jahren. Jeder hier kennt ihn.
Die Birken­straße 57 ist ein unauf­fäl­li­ges Haus vom Anfang des 20. Jahr­hun­derts. Hier lebten bis Anfang der 30er Jahre die Gebrü­der Sass, ein Gaun­erduo, das in der ganzen Stadt immer wieder mehr oder weni­ger erfolg­los versuchte, Bank­tre­sore zu knacken. Am Ende wurden sie hinge­rich­tet, der Groß­teil der Beute wurde bis heute nicht gefun­den.

Dann die Kreu­zung zur Strom- und Putlitz­straße. Die mäch­tige, runde Fassade des Moa-Bogens bestimmt den Ort. Das Einkaufs­cen­ter ist innen klei­ner als vermu­tet, es teilt sich den Platz mit einem Hotel und Fitness­räu­men. Noch vor weni­gen Jahren stan­den hier die Ruinen der Paech-Brot­fa­brik, nach dem Abriss nur noch der hohe Indus­trie­schorn­stein. Die Kinder im Kiez hoff­ten auf eine spek­ta­ku­läre Spren­gung — doch am Ende wurde er einfach nur abge­tra­gen.
Tags­über ist die Kreu­zung sehr voll und laut. Aus der Rich­tung S- und U‑Bahn strö­men die Passan­ten in alle Rich­tun­gen, auch in die Stephan­straße, die hier unauf­fäl­lig hinter dem Moa-Bogen liegt. Gleich drei Döner-Imbisse bieten hier Spei­sen an. Einer davon gehört zur Ayasofya-Moschee, vor deren Tor regel­mä­ßig die Werbe­pla­kate über­malt oder abge­ris­sen werden, wenn darauf leicht beklei­dete Frauen zu sehen sind.

Rechts dann das erste von drei Wirts­häu­sern, die sich inner­halb von 50 Metern Konkur­renz machen. Das Arema war bis Mitte der nuller Jahre noch ein winzi­ger Einkaufs­la­den, betrie­ben von zwei Ehepaa­ren, die längst im Renten­al­ter waren. Nach­dem sie aufge­ge­ben haben, legten die Nach­fol­ger die alten geka­chel­ten Wände frei, bis in den Seiten­flü­gel erstreckt sich heute das Restau­rant. Innen eine eiserne Wendel­treppe, die ins Nichts führt.
Auch das Licht­blick im einst besetz­ten Haus und der alte “Dicke Engel” an der Kreu­zung zur Wilhelms­ha­ve­ner Straße bieten viel Platz, warme Küche und kalte Getränke. So viel geballte Gast­häu­sig­keit gibt es sonst in der ganzen Gegend nicht mehr. Sie und auch das Café Crema ziehen eine Klien­tel an, die einer­seits den Kiez aufwer­tet, gleich­zei­tig aber auch als Vorbo­ten einer Gentri­fi­zie­rung gefürch­tet wird, die in die Vertrei­bung der altein­ge­ses­se­nen Bevöl­ke­rung mündet. Hier ist der Streit Aufwer­tung contra Erhal­tung preis­wer­ten Wohn­raums direkt sicht­bar. Wie er ausgeht, ist noch nicht entschie­den.
Oben an der Kreu­zung stop­pen mal wieder zwei Poli­zei­wan­nen. Die Beam­ten rennen die Trep­pen zum U‑Bahnhof herun­ter, Drogen­dea­ler jagen. Ein Junge von etwa 13 Jahre wird erwischt, ihn kennt man hier schon.

Neben der feuer­wehr­ro­ten Tür geht es in den Merhaba-Discount von Ali Kambu­ro­glu. Er ist im Kiez eine Legende. In seinem Obst- und Gemü­se­ge­schäft bekommt man an der Kasse stets noch Nach­hilfe in Poli­tik, vor allem zum Thema Nahost. Manch einer geht extra deswe­gen dort einkau­fen, andere meiden den Laden aus diesem Grund.
Schräg gegen­über, an der Ecke zur Bremer Straße, liegt noch der Birken-Schul­gar­ten. “Noch” auch deshalb, weil er mal wieder und immer wieder von der Schlie­ßung bedroht ist. Die Poli­tik steckt eben lieber Geld in den Auto­bahn­bau, als in die Erzie­hung der Kinder. Dass die ein gesun­des Verhält­nis zur Natur bekom­men und lernen, dass Gemüse nicht im Super­markt wächst, ist offen­bar nicht so wich­tig.

Hier endet die Birken­straße an einer alten Kasta­nie, die in einer einst sicher schö­nen Grün­an­lage steht, die heute jedoch verwil­dert ist. Davor aber noch­mal kleine Gärten vor den Wohn­häu­sern, so wie man sie in der Birken­straße öfters sieht.

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