Seit vier Wochen gilt in Deutschland offiziell der Mindestlohn von 8,50 EUR. Bei einer üblichen Beschäftigung von acht Stunden am Tag entspricht das einem Nettolohn von 1000 bis 1.100 Euro. Damit kann man über die Runden kommen, wenn man nicht zu hohe Ansprüche hat.
Fakt ist aber, dass das Taxigewerbe den Mindestlohn ignoriert, jedenfalls hier in Berlin. Die Betriebe tricksen, um ihren Fahrer nicht mal dieses Minimum zahlen zu müssen. Selbst bisher als seriös geltende Taxi-Unternehmer greifen zu Methoden, die einer gerichtlichen Überprüfung sicher nicht standhalten würden. Beispielsweise werden nur noch die Fahrten als Arbeitszeit gezählt, wenn auch ein Fahrgast befördert wird. Zahlreiche Taxameter wurden so manipuliert, dass sie nach drei Minuten Standzeit ohne Fahrgäste automatisch auf “Pause” springen und der Fahrer nichts verdient. Selbstverständlich ist das keine Pause, denn auch die Bereitschaft ist ja Arbeitszeit, man kann dann nicht einfach spazieren gehen oder sich in ein Café setzen. Das Taxi muss jederzeit vorrücken können, man muss auf den Funk hören und bei einem Auftrag sofort losfahren können.
Natürlich haben wir auch vorher bei Standzeiten oder wenn wir auf der Suche nach Fahrgästen leer durch die Straßen gefahren sind, nichts verdient. Aber genau aus diesem Grund ist der Mindestlohn ja eingeführt worden, damit die Kollegen endlich von ihrer Arbeit leben können. Stattdessen müssen sie sich weiterhin entweder einen Nebenjob suchen oder aber Schichten von 12, manchmal auch 15 Stunden fahren. Das bedeutet jedoch, dass die Fahrer dann übermüdet fahren und sich, die Fahrgäste und Passanten gefährden.
Die Unternehmer ziehen sich darauf zurück, dass sie den Mindestlohn eben nicht zahlen können, weil nicht genug Umsätze gemacht werden. Das ist in dieser Einfachheit richtig. Aber trotzdem falsch. Seit Langem war klar, dass der Mindestlohn kommen wird. Die Firmen hätten Rücklagen bilden können, wie es in anderen Branchen ebenfalls üblich ist. Die Unternehmer hätten beim Senat eine Tariferhöhung erwirken können, wozu haben sie denn allein in Berlin vier Gewerbevertretungen? Das sind alles Unternehmerverbände, die Ansprechpartner des Senats sind. Und sie hätten auf einen Konzessionsstopp bestehen können, damit die Zahl der Taxis sinkt und damit die Umsätze der einzelnen Wagen steigen.
Aber sie konnten sich nicht einigen. Oder sie wollten es nicht. Nicht wenige Kollegen vermuten, dass sich die Verbände deshalb nicht auf einen gemeinsamen Tarif einigen wollten, damit die Situation eskaliert. Dadurch solle Druck auf die Politik gemacht werden, damit der Mindestlohn für das Taxigewerbe zurückgenommen wird. Auch ich halte diese Trotzpolitik für denkbar: Mein bisheriger Chef hat mir noch im Dezember wörtlich gesagt, dass er den Mindestlohn nicht zahlen werde, er hätte ihn ja schließlich nicht gemacht. Stattdessen verlangt er, dass die Fahrer weniger Stunden abrechnen, als sie tatsächlich gefahren sind. Er verhält sich offen kriminell, damit er seinen Angestellten keinen Cent zusätzlich zahlen muss. Sein italienischer Sportwagen, seine Eigentumswohnungen, Auslandsurlaube alle paar Monate — all dies wird nicht angetastet, sollen doch die Fahrer bluten. Und wer das nicht mitmacht, wird entlassen.
Er ist keine Ausnahme, das hört man derzeit von den meisten Kollegen. Sie werden unter Druck gesetzt und nur wenige Unternehmer versuchen, zusammen mit den Fahrern eine Lösung zu finden. Der Normalfall aber ist, dass die eh schon sehr schlecht verdienenden Taxifahrer weiterhin zu Niedriglöhnen fahren müssen. Wer auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns besteht, flieg raus. Das ist derzeit die Realität im Taxigewerbe.
Das sind natürlich unhaltbare Zustände. Die Frage ist, wie man dem am besten begegnet.
a) Sich weigern unter diesen Bedingungen zu arbeiten; wenn jeder mitmacht, finden die Unternehmer zu ihren Bedingungen niemanden mehr und müssen zum Mindestlohn einstellen. Problem: Zum einen ist man arbeitslos, bis die Methode Wirkung zeigt, womöglich auch darüber hinaus, denn möglicherweise wird der Mindestlohn, wenn er denn greift, tatsächlich bedeuten, dass es insgesamt weniger Arbeitsplätze im Taxi geben wird, da der Kuchen in größere Stücke geschnitten werden muss. Außerdem wird am ehesten es an “wenn jeder mitmacht” scheitern…
b) Jeden rechtswidrig agierenden Arbeitgeber anschwärzen, in der Hoffnung, dass die Behörde tätig wird und Bußgelder verhängt. Problem: Welche Kapazitäten hat die Behörde überhaupt? Wieviele Wiederholungsfälle muss es geben, bis die Bußgelder eine Höhe erreicht haben, bei der es sich nicht mehr lohnt, Schmu zu machen (theoretisch sind bis zu 500.000,- € pro Verstoß möglich)?
c) Eine Zeit lang zu den aufgezwungenen Bedingungen arbeiten und dann die Differenz zum Mindestlohn einklagen.
Problem: Man stützt das System erst einmal, indem man sich (scheinbar) fügt. Der anschließende Prozess kann sich hinziehen. Keine Ahnung, wie gut vernetzt die Taxiunternehmer sind, sprich, ob es nach so einer Aktion jemals nochmals Chancen auf einen Job in der Branche gibt. Die Gerichtskosten müssen erst mal vorgelegt werden, für die Anwaltskosten gibt es im Arbeitsrecht zumindest in erster Instanz auch im Falle eines Sieges keine Kostenerstattung. Das ganze sollte also am Besten mit Rechtsschutzversicherung über die Bühne gehen. Und die muss entweder spätestens am 30.9.2014 oder mindestens 3 Monate, bevor man bei dem Arbeitgeber, mit dem man das durchziehen will, den Arbeitsvertrag unterzeichnet, abgeschlossen worden sein.
Schwierig, eine Patentlösung fällt mir nicht ein. Am wirksamsten erscheint mir vielleicht sogar c), wenn sich rumspricht, dass dieses Damoklesschwert über einem schwebt, macht der Arbeitgeber sich vielleicht Gedanken, wie er das ganze rechtskonform angehen kann.
Ich bin selber Arbeitnehmer, kein Unternehmer. Aber: Rücklagen bilden???? Ernsthaft??? Irgendwann sind die auch alle…
Konzessionsstop??? Widerspricht der Gewerbefreiheit…
Tariferhöhung??? Dann ist jeder Mietwagen günstiger als ein Taxi. Und dann???
Dann werden reihenweise Unternehmer mit Arbeitnehmern aufgeben (müssen) und ja, dann wird sich das Problem lösen. Auf Kosten etlicher Arbeitsplätze. Gut die verbliebenen Fahrer werden MIndestlohn verdienen. Glückwunsch an dieser Stelle…
In Deutschland sind in den meinsten Bundesländern die Konzessionen begrenzt. Warum also nicht auch in Berlin? Außerdem darf “Gewerbefreiheit” nicht das Goldene Kalb sein, für das die angestellten Taxifahrer geschlachtet werden.
@rene: auch beim Mietwagen müssen ja 8,50 gezahlt werden, der kann dann nicht wirklich viel günstiger sein!
Ansonsten haben die Unternehmer wohl leider leichtes Spiel, weil die Fahrer nicht wirklich gut organisiert sind. Wenn wirklich alle auf 8,50 bestehen würden und ggfs. das Gewerbe auch über Wochen lahmlegen würden, dann müssen sicher Arbeitsplätze bzw. Konzessionen abgebaut werden. Stimmt dann aber wieder die Auslastung, kann auch locker ein ordentlicher Lohn bezahlt werden.
Es macht doch keinen Sinn um Arbeitsplätze zu weinen, die wirtschaftlich tatsächlich überflüssig sind und die Beschäftigten nicht ernähren.
Gruß Frank
Und es geht doch. Ich bin lange in Berlin Taxi gefahren, seit zwei Jahren in der Kleinstadt Königslutter am Elm. In meiner Firma hat man sich rechtzeitig Gedanken über den Mindestlohn gemacht, unter Beteiligung der Fahrer.
In den Kleinstädten wird traditionell nach Stundenlohn gearbeitet, bisher für Festangestellte 5,50, für Minijobber 4,50. Seit Januar bekommen alle ihre 8,50.
Dafür arbeiten die Festangestellten nur noch ca. 45 Stunden pro Woche statt vorher 60+ Stunden, dafür werden mehr Minijobber eingestellt, und alle sind vorerst einigermaßen zufrieden.
Sicherlich ist dieses Modell noch nicht der Weißheit letzter Schluss, es läßt sich auch nicht auf Großstädte übertragen. Aber zeigt doch: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!
Gruß, Holger
Noch ein Tipp an die Großstadt-Taxiunternehmer: Bei meiner letzten Firma in Berlin haben wir uns selber um Dauer-Krankentransporte (zur Bestrahlung von Krebspatienten u.ä.) gekümmert, und nicht alles der Funkzentrale überlassen.
Wenn bei uns jemand angerufen hat, wurde er niemals an die Zentrale verwiesen. Auch nicht, wenn es nur eine kleine Fahrt vom Wedding zum HBF war.
Dazu noch gepflegte Fahrzeuge und kompetente sowie freundliche und ordentlich bezahlte Fahrerinnen/Fahrer, dann sollte man den evtl. bevorstehenden “Konkurrenzkampf” gut überstehen.