Sie sind noch da

Sie sind noch immer da.
Wieder da.
Sie waren nie weg.
Seit damals.
Mai 1945.
Noch im selben Jahr hatte niemand mehr dazu gehört.
Keiner hatte etwas gewusst.
Oder gese­hen.
Nicht die zerschla­ge­nen Fens­ter jüdi­scher Läden.
Nicht die Kolon­nen der Opfer quer durch die Stadt.
Man wusste ja nichts.
Wenn das der Führer wüsste.
Und wenn die Solda­ten zum Front­ur­laub nach Hause kamen.
Ihre Geschich­ten.
Ihre Angst.
Vor Russ­land.
Vor den Erschie­ßun­gen in den Wäldern.
Jeder konnte es wissen.
Aber es war nicht vorbei.
Es ging weiter.
Nur mit ande­rer Fassade.
Die Nazis blie­ben die glei­chen.
Rein­hard Gehlen wurde Spio­na­ge­chef.
Die NSDAP wurde Sozia­lis­ti­sche Reichs­par­tei.
Kurt Georg Kiesin­ger wurde Bundes­kanz­ler.
Die Sozia­lis­ti­sche Reichs­par­tei wurde NPD.
Walter Scheel wurde Bundes­prä­si­dent.
Major Remer wurde ein Held.
Einst schlug er den Aufstand am 20. Juli nieder.

In Bayern und anderswo explo­dier­ten Bomben.
Mord am jüdi­schen Verle­ger­ehe­paar Lewin.
Ein Dutzend Tote beim Anschlag am Okto­ber­fest.
Hunderte Schwer­ver­letzte durch Wehr­sport­grup­pen.
Die Deut­schen wurden zu Demo­kra­ten.
1989 riefen sie: Wir sind das Volk.
1990 riefen sie: Wir sind ein Volk.
Das Völki­sche war wieder modern.
Pogrom­stim­mung an Flücht­lings­hei­men.
Rostock, Mann­heim, Hoyers­werda.
Morde an Migran­ten, Mölln, Solin­gen.
Das völki­sche Volk schaut weg.
Auch die Poli­zei.
Die Poli­tik verschärft die Gesetze.
Gegen Flücht­linge.
Damit das Volk ruhig bleibt.
Zehn Mord­an­schläge.
Der Verfas­sungs­schutz sitzt dabei.
Er verhin­dert nichts.
Nur die Unter­la­gen verschwin­den.
Keine Beweise.
Dann gehen sie wieder auf die Straße.
Wieder sind sie ein Volk.
Hetzen gegen Migran­ten und Flücht­linge.
Jagen sie durch Dres­den.
Schreien tausend­fach Paro­len.
Berlin, Novem­ber 1938.
Rostock-Lich­ten­ha­gen, August 1992.
Pegida, 2015
Niemand ist ein Nazi.
Oder auch nur Rassist.
Nur besorg­ter Bürger.
Nur Volk.
Igno­rant gegen das Elend der ande­ren.
Die Mörder sind immer die ande­ren.
Man selber macht sich nicht die Hände schmut­zig.
Und hat von nichts gewusst.
Wie immer.

print

Zufallstreffer

Berlin

Der Weg der Juden

Als im Mai 2005 das Mahn­mal für die ermor­de­ten Juden Euro­pas eröff­net wurde, war es sehr umstrit­ten. Vorher hatte es einein­halb Jahr­zehnte lang Diskus­sio­nen gege­ben und das Ergeb­nis hat vielen nicht gefal­len. Dabei ist dieses […]

1 Kommentar

Hier kannst Du kommentieren

Deine Mailadresse ist nicht offen sichtbar.


*