Meine Lehre bei Karstadt

In der zwei­ten Hälfte der 1970er Jahre habe ich eine Lehre zum Verkäu­fer bei Karstadt am Hermann­platz gemacht. Der Vorteil gegen­über ande­ren Ausbil­dun­gen war, dass sie nur zwei Jahre dauerte und man die Prüfung sogar ein halbes Jahr früher machen konnte, wenn man sich nicht völlig dumm anstellte.

Haus­halts­wa­ren, Werk­zeug, Eisen- und Plas­tik­wa­ren gab’s in meiner Abtei­lung. Nach drei Mona­ten hatte man eigent­lich alles drauf, nur die Theo­rie in der Berufs­schule konnte einem noch was Neues beibrin­gen.
Kunden beglü­cken, Waren­pflege, ein biss­chen Orga­ni­sa­tion, Kasse bedie­nen — das war alles leicht. Bei den “Haus­halts­wo­chen” wurde ich zum Markt­schreier, stand auf dem großen Tisch inmit­ten von Töpfen und Pfan­nen verschie­de­ner Größen. “Jedes Teil 5 Mark! Zwei Stück nur das Doppelte!!” Ich rief so laut, dass sich die ande­ren Abtei­lungs­lei­ter über mich beschwer­ten. Meinem Chef aber gefiel es, vor allem, als er meine Umsätze sah. Irgend­wann musste der Stand dann vor das Haus ziehen, mein lautes Konzept passte der Geschäfts­lei­tung nicht. Mir war’s recht, ich hatte ein größe­res Publi­kum.

Ausge­wählte Lehr­linge beka­men die Möglich­keit, eine spezi­elle Zusatz­aus­bil­dung zum Haus­de­tek­tiv zu machen. Karstadt am Hermann­platz war eines von zwei Häusern des gesam­ten Konzerns, in dem neue Metho­den gegen Dieb­stahl getes­tet wurden. Und ich lernte sie alle kennen. Wie die Kame­ras, die in einem Meter Höhe unter den Regal­bret­tern versteckt waren und die beob­ach­ten konn­ten, wenn sich jemand Ware in den Hosen­bund steckte. Oder wie sich zwei, drei Detek­tive verstän­di­gen, wenn sie jeman­dem auf dem Kieker haben. Auch die trans­por­ta­blen Säulen mit den duch­sich­ti­gen Spie­geln wurden dort als Erstes auspro­biert. Die sind in vielen Kauf­häu­sern bis heute im Einsatz. Zu der Zeit wurden auch neue Detek­tiv­ty­pen auspro­biert: Schein­bare “Penner” oder Rocker, die für poten­zi­elle Diebe unge­fähr­lich wirk­ten, dann aber sehr brutal gegen sie vorgin­gen. Nach­dem es immer wieder Verletzte gab, schwenkte die Geschäfts­lei­tung wieder auf normale Detek­tive um.

Ein spezi­el­les Gebiet waren die Durch­sa­gen über Haus­laut­spre­cher: “18 an 374” war eine normale Ansage, dass jemand von der Abtei­lung 18 das Tele­fon 374 anru­fen soll, das kennt man. Es gab aber auch z.B. die “118 an 1324”: 118 hieß “poten­zi­el­ler Dieb in Abtei­lung 18”. Die 1 = männ­lich, 3 = 30 Jahre oder älter, 24 = oben schwarze, unten blaue Klei­dung. So war der spezi­elle Kunde leicht für jeden iden­ti­fi­zier­bar, der die Durch­sa­gen zu deuten wusste.

Dieb­stähle gab es aber nicht nur von Kunden, sogar mein stell­ver­tre­ten­der Abtei­lungs­lei­ter wurde wegen eines Waren­la­gers von 6.000 DM fest­ge­nom­men. Denn dummer­weise befand es sich nicht im Kauf­haus, sondern in seiner Wohnung.
Mich dage­gen haben sie nie erwischt. Den größ­ten Coup landete ich mit einem Freund: Aus dem Lager der Schall­plat­ten-Abtei­lung brachte ich in einem fahr­ba­ren Müll­con­tai­ner etli­che Kartons mit ange­sag­ten Lang­spiel­plat­ten auf den Hof. Dort gab es einen riesi­gen Berg Altpa­pier, auf dem die Kartons lande­ten — schein­bar leer. Mein Freund fuhr dann mit dem Auto auf den Hof, um sich die “leeren” Kartons zu holen. Gemein­sam verkauf­ten wir in den folgen­den Wochen die aktu­el­len Schall­plat­ten für rund 2.000 Mark in den Jugend­clubs von Neukölln bis Wedding.

Die Ausbil­dung bei Karstadt war durch­aus gut für’s Leben. Zumal ich auch viel über andere Menschen lernte. Das Verhält­nis der Ange­stell­ten zum Chef war echt inter­es­sant: Wie sie über ihn läster­ten, aber in seiner Gegen­wart rumschleim­ten. Wie soli­da­risch oder unkol­le­gial die Leute waren, wenn es mal Ärger gibt.
Ich lernte auch eini­ges über Struk­tu­ren in einem großen Betrieb, über konser­va­tive und unfle­xi­ble Geschäfts­füh­run­gen. Und über die Arro­ganz von Chefs gegen­über ihren Ange­stell­ten, wenn es z.B. um Verbes­se­rungs­vor­schläge ging.

Die letz­ten Monate verbrachte ich in der neu eröff­ne­ten Karstadt-Filiale am Leopold­platz. Der Beton war noch nicht rich­tig ausge­här­tet, als der Laden schon öffnete. Das Chaos war klasse, das dort wochen­lang herrschte. Ich sollte Waren ausprei­sen, die noch gar nicht da war. Dann war irgend­wann das Lager von einer ande­ren Abtei­lung besetzt, sodass wir einfach ein ande­res ausräum­ten, um es für uns zu nutzen. Unter solchen Bedin­gun­gen ging natür­lich auch viel Ware verlo­ren. Niemand hatte eine Über­sicht über die Arbeits­zei­ten und so habe ich viele Stun­den mit Kolle­gen auf dem Park­deck in der Sonne verbracht. :-)

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