Im Amtsgericht in Köpenick beging die SA während der „Blutwoche“ schreckliche Verbrechen. Die Zivilgesellschaft versagte.
Ich stehe vor einem schönen, gründerzeitlichen Bauwerk. Mich beeindruckt diese neugotische Architektur mit den hohen Türmen, Spitzbögen, der verzierten und in dezenter Farbe gehaltenen Fassade. Die repräsentative Ausstrahlung wird durch die roten Dachziegel noch unterstrichen. Historische Gebäude üben auf mich eine besondere Faszination aus. Sie erzählen Geschichten über Menschen, die sie erbauten, spiegeln den Zeitgeist ihrer Epoche wider.
Dass, und warum dieses Amtsgericht mit seinem Gefängnistrakt über die Stadtgrenzen hinaus bekannt wurde, hat allerdings nichts mit seiner gründerzeitlichen Schönheit oder spektakulären Urteilen zu tun.
Gequält, verletzt, ermordet
An diesem so ansehnlichen Ort spielte sich im Hof Schreckliches ab. Vom 21. bis zum 26. Juni 1933 wurde er zum Hauptschauplatz der „Köpenicker Blutwoche“, eines der düstersten Kapitel unserer deutschen, nicht nur der Köpenicker, Geschichte. Zu einem Totalversagen der Zivilgesellschaft.
Im Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Der Deutsch-Nationale Kampfring wurde aufgrund angeblicher marxistischer Unterwanderung reichsweit verboten. Unmittelbar danach breitete sich der Terror der paramilitärischen SA sowie Einheiten der SS gegen nationalsozialistische Gegner im ganzen Land aus.
Am 1. Juni 1933 beschlagnahmte die SA das Gebäude des Amtsgerichts und richtete im viergeschossigen Gefängnistrakt in seinem Hofgelände, unter Leitung von SA-Sturmbannführer Herbert Gehrke, das Stabsquartier ein. Seinem Sturmbann 15 gehörten 3.000 Köpenicker an. Dazu kamen noch die Angehörigen der SS. Die Gefängniskapelle wurde zur Folterstätte.
Rund 500 Köpenicker Bürgerinnen und Bürger, teils jüdischen, teils christlichen Glaubens, Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Kommunisten, Sportler, Junge und Alte wurden von der SA gequält, gefoltert und für ein Leben lang physisch und psychisch verletzt, sofern sie die Grausamkeiten überlebt hatten.
Darunter bekannte Menschen wie Johannes Stelling, früherer Ministerpräsident des damaligen Freistaats Mecklenburg-Schwerin (SPD), und Paul von Essen, Sekretär des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes sowie der parteilose jüdische Fabrikant Dr. Georg Eppenstein.
Die extreme Brutalität während der „Köpenicker Blutwoche“ kann der Öffentlichkeit nicht verborgen geblieben sein. Menschen wurden auf offener Straße verhaftet, aus ihren Häusern und Geschäften gezerrt, ermordet. Die verzweifelten Schreie der Gequälten waren in der Umgebung zu hören. All das geschah also nicht irgendwie im Geheimen, sondern in aller Öffentlichkeit, vor den Augen der Bürger und Bürgerinnen. Die Schreie der Folteropfer waren auch auf den anliegenden Straßen und in den Wohnhäusern zu hören.
Wie brutal Täter der SA vorgingen, zeigen die Obduktionsberichte. Über das KPD-Mitglied Josef Spitzer heißt es: „Dieser Mann hat viele auf stumpf einwirkende Gewalt (Stock, Gummiknüppel?) zurückzuführende Verletzungen am Gesäß und Beinen mit erheblichen Blutungen in das darunter liegende Gewebe erlitten (…). Der Rücken war von oben bis zu den Fersen ohne Haut, das nackte, blutige Fleisch guckte heraus.“
23 Ermordete sind heute namentlich sicher nachgewiesen, doch die Zahlen dürften viel höher sein. Bei einigen Opfern konnte die Identität nicht völlig geklärt werden. Rund 70 Menschen gelten als vermisst, da ihr Tod sich nicht amtlich nachwiesen ließ. Eine Reihe von Opfern wurden in Plastiksäcken in die Dahme geworfen oder im Wald abgelegt.
Die Hauptverantwortlichen der „Köpenicker Blutwoche“ wurden nach Ende des Zweiten Weltkrieges vor Gericht gestellt. Im Juni 1947 mussten sich vier SA-Angehörige wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor der 1. Großen Strafkammer in Berlin-Moabit verantworten. Die Richter verhängten gegen zwei Angeklagte eine Haftstrafe von acht Jahren und 18 Monaten, eine Angeklagte wurde freigesprochen, ein Angeklagter entzog sich dem Prozess durch Flucht. In einem weiteren Prozess wurden 1948 zwei SA-Leute zu einer Haftstrafe von 15 Jahren und einer zu sechs Monaten verurteilt.
Sechs Todesurteile in der DDR
Im dritten und letzten Prozess 1950, der vor dem Ost-Berliner Landgericht stattfand, waren 61 Personen angeklagt, von denen aber nur 32 anwesend waren. 400 Zeugen mussten vernommen werden. Der Hauptverantwortliche SA-Sturmbannführer Herbert Gehrke galt als verstorben. 16 Angeklagte wurden zum Tode verurteilt, 13 zu lebenslänglicher Haft, die anderen Angeklagten zu Freiheitsstrafen zwischen fünf und 25 Jahren. Sechs Todesurteile wurden vollstreckt. Ein Angehöriger dieser Verurteilten betrieb 1992 eine Wiederaufnahme des Verfahrens mit der Begründung, es habe sich um einen stalinistischen Schauprozess gehandelt. Erfolglos.
Gedenktafeln und Stolpersteine, Straßen, die nach den Opfern dieser Gewaltexzesse benannt sind, sollen uns auch an eine Zeit erinnern, in der es lebensgefährlich sein konnte, aufrichtig und geradlinig zu bleiben. Menschen, die nichts Gutes mit der Demokratie vorhaben, gibt es leider auch noch heute. Auch deswegen sollten wir uns nicht von schönen Fassaden blenden lassen. Das gilt für Gebäude ebenso wie für Sonntagsreden.
Sonja Dubbke
(Dubbke schreibt seit Jahren ehrenamtlich für Seniorenmagazine und ist gewähltes Mitglied einer Sondersozialkommission beim Bezirksamt Treptow-Köpenick)
[ Dieser Text erschien zuerst in der Berliner Zeitung und steht unter der Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 ]
Foto: Heinzi / CC BY-SA 3.0
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