Iron Rocker im Taxi

Ich war Zwei­ter am Taxi­stand, Südseite des Haupt­bahn­hofs. Es war sehr heiß, deshalb stand ich wie der Kollege vor mir neben dem Wagen. Drei Pira­ten kamen aus dem Bahn­hof genau auf uns zu. Zwar hatte keiner von ihnen ein Holz­bein, nicht mal eine Augen­klappe war zu sehen, aber ansons­ten sahen sie wirk­lich sympa­thisch aus. Täto­wiert, wirre Haare, schwarze T‑Shirts mit unde­fi­nier­ba­rem Aufdruck, etwas zerflet­terte Westen, lässi­ger Gang.
Dies sah der Kollege vor mir anders, er stam­melte was von „Vorbe­stel­lung“, zuckte mit den Schul­tern. Mir sollte es recht sein, so super lief die Schicht bisher nicht. Also kamen die Drei auf mich zu, der Wildeste von ihnen grüßte mit „Moin, moin“ und als ich mit „Ahoi“ antwor­tete, was das Eis schon gebro­chen.

Leider sollte die Fahrt nur nach Mitte gehen, zu einem Hotel an der Leip­zi­ger Straße. Aber während der der Fahrt stellte sich heraus, dass sie dort nur kurz einche­cken woll­ten und dann gleich weiter zur Wald­bühne. „Kannste einen Moment auf uns warten und dann dahin fahren?“
Na und ob ich das konnte!
Die Truppe war herr­lich. Sie kamen gerade aus Hamburg, einer war Maurer­meis­ter mit eige­ner Firma, einer Fischer, der andere Kapi­tän. Zwar nicht auf einem Pira­ten­schiff, aber immer­hin einem Fisch­kut­ter. Also nicht so abge­ho­bene Leute, wie ich sie sonst oft im Auto habe und die meist steif wie ein Brett sind.

Es ging zum Konzert von Iron Maiden, und schnell fach­sim­pel­ten wir über Musik. Heavy Metal ist zwar nicht meine Prio­ri­tät, aber alle­mal besser als z.B. Helene Fischer. Die Fahr­ten zum Hotel und zur Wald­bühne waren klasse. Wir spra­chen über meine vielen bishe­ri­gen Jobs, dann über ihre. Über Iron Maiden, A.C.D.C. und die Böhsen Onkelz. Über Taxi­fah­rer, die Leute wie sie nicht mitneh­men wollen, über Philo­so­phie und die Gesell­schaft. An der Wald­bühne ange­kom­men, woll­ten sie meine Tele­fon­num­mer, um mich für die Rück­fahrt anzu­ru­fen. Norma­ler­weise gebe ich die nicht weiter, in diesem Fall aber sehr gerne. Aller­dings sagte ich auch, dass ich bei Konzer­tende even­tu­ell zu weit weg sein könnte.
Die 34 Euro bezahl­ten sie mit einem 50-EUR-Schein: „Stimmt so, war ne geile Fahrt!“ Stimmt.

Etwa drei Stun­den später kam über Funk der Hinweis, dass das Konzert in der Wald­bühne zu Ende sei und Taxi gebraucht würden. Vom Kudamm ist es nicht weit dort hin, nach 10 Minu­ten war ich da. Hunderte Konzert­be­su­cher kamen mir schon entge­gen, aber ich stellte mich erst­mal mit ausge­schal­te­tem Taxi­schild an den Rand und wartete auf den Anruf. Mehr­mals in der Minute frag­ten mich Leute, ob ich sie mitneh­men könnte, aber ich musste sie enttäu­schen. Nach einer Vier­tel­stunde dachte ich, dass meine Fahr­gäste wohl doch nicht mehr anru­fen und bevor ich gar keine Tour mehr bekäme, brachte ich zwei bayri­sche Metal­ler zu ihrem Hotel nach Schö­ne­berg. Kaum hatte ich sie dort ausge­la­den, riefen die Pira­ten an. „Ich brau­che aber mindes­tens 20 Minu­ten“, sagte ich.
„Kein Problem, wir haben doch noch unser Bier dabei. Und solange brau­chen wir sowieso, bis wir vorn sind.“ Na wenn das so ist.

Wir verab­re­de­ten uns an der letz­ten Absper­rung. Wieder waren es Hunderte von Menschen, die mir auf der Passen­hei­mer Straße entge­gen kamen. Die Reihe der Autos zog sich vom Glocken­turm bis zur Heer­straße, da ging nichts mehr. Alle ande­ren Fahr­strei­fen waren von Konzert­be­su­chern gefüllt, die eben­falls zur Heer­straße gingen und gefühlt jeder Zweite versuchte mich zu bewe­gen, ihn mitzu­neh­men.
Natür­lich hatte ich die Fackel wieder ausge­schal­tet, aber das inter­es­sierte nieman­den. Als ich an der Absper­rung ankam und anhielt, stie­gen sofort drei Leute ein. Aber nicht die, für die ich gekom­men war. „Ach das ist aber jammer­schade“, sagte einer von ihnen, als ich sie wieder raus­wer­fen musste.

Dann kamen „meine“ Fahr­gäste. Ich kenne das ja selbst: Nach einem coolen Konzert ist man aufge­dreht und gut gelaunt. So war es auch bei ihnen. Und ihre Stim­mung wurde noch besser, als ich an der langen Reihe der Stau spie­len­den Autos einfach auf der Gegen­fahr­bahn vorbei fuhr. Es hätte sonst bestimmt eine halbe Stunde gedau­ert, das wollte ich uns nicht zumu­ten. Mich wunderte, dass sogar mehrere Taxis in der Reihe stan­den, anstatt meinen Weg zu wählen. Dann bog ich in die Jesse-Owens-Allee ein und am Olym­pia­sta­dion vorbei, nach weni­gen Minu­ten waren wir schon am Theo­dor-Heuss-Platz.

„Ich wusste es, du bist der beste Taxi­fah­rer Berlins!“, lobte mich der Maurer. Der Rest der Rück­fahrt war wieder unter­halt­sam und kam mir vor, als wären wir nur ein paar Minu­ten unter­wegs gewe­sen. In Mitte ange­kom­men woll­ten sie noch gar nicht ins Hotel, sondern irgendwo was trin­ken. Am Hacke­schen Markt zeigte ich ihnen die Bars und wo es zur Orani­en­bur­ger ging. Am Ende stan­den rund 30 Euro auf der Uhr. Wieder zahl­ten sie mit einem Fünf­zi­ger und wieder kam das „Stimmt so!“
Insge­samt 36 Euro Trink­geld für zwei tolle Fahr­ten – das wünschte ich mir öfter! Als aber drei Stun­den später noch­mal das Tele­fon klin­gelte, war ich bereits zu Fuß unter­wegs nach Hause und musste meine Hambur­ger Pira­ten enttäu­schen.
„Aber wir heben deine Tele­fon­num­mer auf, für’s nächste Mal.“
Ja, sehr gerne!

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4 Kommentare

  1. Ach, war das herr­lich zu lesen!
    Solche Kund­schaft dürfte mir ruhig auch mal wieder über den Weg laufen!
    Ande­rer­seits schei­nen sie bei Dir ja genauso gut aufge­ho­ben zu sein. Im Gegen­satz zu all den Kolle­gen mit ihren “Vorbe­stel­lun­gen”. ;)

  2. Jau, so soll das sein.
    btw: so https://is.gd/I3UEM9 sieht es aus, wenn sich die Privat-Taxen von Mutti Merkel, Monseur Hollande und Maiden am Flug­ha­fen (Zürich in diesem Falle) tref­fen. Sind die beiden Klei­nen nicht nied­lich? (Und die werden auch bestimmt nicht vom Chef selbst geflo­gen :-) )

  3. „Ich wusste es, du bist der beste Taxi­fah­rer Berlins!“
    Und diesen Satz lässt der Sash unwi­der­spro­chen? ;-)

  4. @ Sash
    Tja, Du stehst offen­bar am falschen Bahn­hof :-)

    @ zbyg­nev
    Na ja, Iron Maiden haben auch defi­ni­tiv die bessere Bühnen­show!

    @ Bernd K.
    Sash ist eben beschei­den und hält sich vornehm zurück :-D

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