“Mit dem Beginn der vorlesungsfreien Zeit fange ich an, meine Bachelorarbeit zu Ende zu schreiben. Ab Donnerstag, den 24.02. Ja, so wird es sein.” Dachte ich mir.
Am Morgen, des 24.02.2022, las ich in den Nachrichten: Russia launches “full-scale” invasion of Ukraine. Ukraine on fire.
Seit diesem Moment lebe ich, wie auch alle andere Ukrainer:innen, gefühlt in einem neuen Universum. Ein Universum, in dem ich mich noch nie zuvor befand und eines von dem man nichts wissen kann, bevor man in es hinein gerät. Das passiert erst, wenn man direkt vom Krieg betroffen ist und nicht, wenn man darüber aus Nachrichten erfährt.
An diesem Tag habe ich, innerhalb einer Stunde, mindestens 30 Nachrichten mit den Worten der Unterstützung bekommen. Das war unglaublich. Ich war und bin sehr dankbar für jeden Gedanken an mich. Nur eine Frage hat mich hilflos gelassen: Wie es mir geht. Gefühlt wollte ich nur zurückfragen: Was glaubt ihr, wie es mir geht?
Die ersten zwei Tage waren eine Mischung aus Angst, Chaos, Ungewissheit, Schuldgefühlen und irgendwelchen neuen Emotionen, die ich bisher gar nicht kannte. Ich weiß nicht, wie ich sie nennen sollte und ob es für sie Namen/Begriffe gibt. Und ja, Schuldgefühle. Denn ich befinde mich an einem ruhigen Ort und ich schaue in den blauen Himmel, in dem nur ab und zu ganz übliche Flugzeuge fliegen. Wie kann es sein, dass meine Familie, meine Freunde und meine Ukraine Sirenen statt dem Wecker hören, während ich hier nur die Vögel singen höre? Ich fühlte mich so unangenehm unverdient privilegiert. Doch seitdem ich realisiert habe, dass ich auch hier mein Bestes tun kann, um zu helfen, sind diese Schuldgefühle ein wenig leiser geworden.
Seit der ersten Minute habe ich die Rolle einer Botschafterin, eines Infokanals, auf mich genommen: Ich teile viele Informationen auf Social Media, auf allen Sprachen, die ich kann. Ich teile unter anderem Informationen darüber, wie der Ukraine geholfen werden kann und beteilige auch mich selbst auf verschiedene Art und Weise.
Obwohl die erste Schockphase teilweise vorbei ist (wenn ich das überhaupt behaupten kann), trage ich den Schmerz in mir. Ich trage den Krieg in mir. Ich merke, dass unabhängig davon, wohin ich gehe oder mit wem ich mich treffe, ich es nicht schaffe, von dem Thema abzuschalten. Aber ich muss vielleicht auch nicht? Weiß ich nicht, habe nur 4 Tage Erfahrung damit. 4 Tage. Gefühlt 4 Ewigkeiten. Auf Instagram habe ich gestern den Satz gesehen: “I just understood I don’t know the day of week today, but i know it is he 4th day…”. Besser könnte ich es nicht zusammenfassen. Schon dreimal habe ich meiner Familie eine gute Nacht gewünscht mit dem Wissen, dass die Nächte alles andere als gut sein werden. Habe mich dabei auch gefragt, ob ich sie alle am nächsten Tag noch haben werde, ob ich ihnen nochmal eine gute Nacht wünschen werden kann? Im schlimmsten Albtraum aller Zeiten könnte ich mir so ein Szenario nicht vorstellen.
Gleichzeitig darf ich nicht vergessen zu sagen, wie stolz ich bin, Ukrainerin zu sein. Wie stolz ich auf unsere Armee bin, die so mutig und engagiert die Ukraine verteidigt. Wie unglaublich wir, die Ukrainier:innen sind, dass wir auch in so einer schwierigen Zeit legendäre Sprüche und lustige Momente kreieren, die uns alle in dieser gruseligen, angespannten Situation aufmuntern und vereinen. Die Geschichte über die Verteidigung der Schlangeninsel. Die heroische Tat von Witalij Skakun. Der unbekannte Musiker, der in unserer Hauptstadt Kyiw in einer der Nächte auf einer Trompete unsere Nationalhymne gespielt hat, während die Stadt unter Beschuss stand. Ukrainner:innen im In- und Ausland, die in jeder Ecke der Welt sofort füreinander da waren und immer noch sind. Nur ein paar Beispiele, dank denen ich mit Gewissheit sagen kann: Ich komme aus der Ukraine. Ich bin stolz darauf.
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Artikel geschrieben am: 27.02.2022, Erstveröffentlichung: Studentliv-Blog
Anna-Mariya Mushak
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