Der Kampf gegen die „Schwarze Schmach“

Louis Brody machte in der Weima­rer Repu­blik und im Natio­nal­so­zia­lis­mus eine steile Karriere im Film. Der schwarze Schau­spie­ler nutzte seine Stel­lung für den Kampf gegen den Rassis­mus.

Der Wind pfeift eisig durch die Kurfürs­ten­straße an diesem trüben Herbst­tag. Dieser Teil der Straße, kurz bevor sie auf die Pots­da­mer Straße trifft, gehört mit ihrem Mix aus Alt- und Neubau­ten zu den quir­li­gen Gegen­den Schö­ne­bergs. Und seit dem vergan­ge­nen Sommer erin­nert am Haus mit der Nummer 40 eine Gedenk­ta­fel an einen ganz außer­ge­wöhn­li­chen Mann, der hier gelebt hat: Louis Brody. Er arbei­tete fast 35 Jahre lang als Schau­spie­ler für die großen deut­schen Film­stu­dios wie die UFA, die Tobis und die Defa, stand für Regis­seure wie Fritz Lang und Richard Oswald neben Schau­spie­lern wie Hans Albers und dem ersten Oscar-Preis­trä­ger Emil Jannings vor der Kamera.

Das Außer­ge­wöhn­li­che an diesem Mann: Anders als der Name Louis Brody sugge­riert, war er kein Ameri­ka­ner oder Englän­der. Sein rich­ti­ger Name lautete Ludwig M’bebe Mpessa. Er war 1892 in Douala in der dama­li­gen deut­schen Kolo­nie Kame­run gebo­ren worden – und er war schwarz.

Dass Brody, wie er sich selbst nannte, gleich­wohl in Deutsch­land zwischen 1915 und 1951 eine erfolg­rei­che Karriere als Schau­spie­ler hinlegte, ist erstaun­lich – und wirft mit Blick auf die Art seiner Rollen zugleich ein Schein­wer­fer­licht auf den Rassis­mus, der hier­zu­lande herrschte und der so alltäg­lich und normal war, dass sich wenige Menschen aus der weißen Mehr­heits­ge­sell­schaft darüber über­haupt auch nur Gedan­ken mach­ten.

Verlust der Heimat

Als Brody kurz vor dem Ersten Welt­krieg, vermut­lich als Diener eines deut­schen Kolo­nia­lis­ten, nach Berlin kam, war er etwa 20 Jahre alt, hatte eine Ausbil­dung an einer deut­schen Verwal­tungs­schule in seiner Heimat hinter sich und sprach Deutsch. „Er hatte vermut­lich nicht vor, in Deutsch­land zu blei­ben“, sagt der schot­ti­sche Histo­ri­ker Robbie Aitken von der Univer­si­tät Shef­field Hallam. Zu dieser Zeit gehörte Kame­run noch zum deut­schen Kolo­ni­al­reich, doch ein paar Jahre später, nach der Kriegs­nie­der­lage und dem Versailler Vertrag, hatte Deutsch­land die Kolo­nien verlo­ren. Das machte eine Rück­kehr in die Heimat für Brody und andere Schwarze nahezu unmög­lich. Während der 1920er- und frühen 30er-Jahre lebten zwischen 1.000 und 3.000 Schwarze in Deutsch­land, die sich vor allem auf die Groß­städte konzen­trier­ten.

Brody entdeckte eine Möglich­keit, Geld zu verdie­nen: die Schau­spie­le­rei beim damals noch ganz jungen Film. Später trat er auch als Jazz­mu­si­ker, Ringer und als Artist im Circus Krone und bei Schau­ver­an­stal­tun­gen auf, doch die Schau­spie­le­rei blieb sein Haupt­be­ruf. Dass Schwarze in deut­schen Filmen mitspiel­ten, war ziem­lich unge­wöhn­lich, aber in manchen Strei­fen, zum Beispiel solchen, die in den frühe­ren Kolo­nien spiel­ten, wurden sie gebraucht. Brodys erster Film war 1915 „Das Gesetz der Mine“. Und schon in diesem ersten Film besetze er die Rolle, für die er benö­tigt wurde: Er spielte den tumben, nicht selten gefähr­lich, myste­riös, exotisch und manch­mal auch erotisch wirken­den Schwarz­afri­ka­ner. Die Film­zeit­schrift Der Kine­ma­to­graph beschrieb ihn als einen „riesen­haf­ten“ Schwar­zen, der im Namen der Blut­ra­che eine – weiße – Haupt­fi­gur umbringt.

1920 wirkte Brody in „Genuine“ des Produ­zen­ten Carl Meyer mit und spielte den Diener der Pries­te­rin einer geheim­nis­vol­len orien­ta­li­schen Sekte, die sich von Menschen­blut ernährt. Nach ihrer Entfüh­rung nach Europa fordert sie das Blut ihres Gelieb­ten, doch ihr Diener will den jungen blon­den Mann retten, schlitzt sich selbst eine Ader auf und bietet der Pries­te­rin sein Blut an. Die stößt den Becher entsetzt weg, das Blut eines Schwar­zen will sie nicht trin­ken. Der Retter des blon­den Jüng­lings erscheint plötz­lich als Gefahr und wird mit einer Sense von Dorf­be­woh­nern umge­bracht. Brody symbo­li­siert in diesem Film, der zu seinen wich­tigs­ten zählt, die „schwarze Gefahr“, die in Deutsch­land umzu­ge­hen schien.

Kurz darauf drehte auch Fritz Lang seinen ersten Film mit Brody mit dem Titel „Der müde Tod“. Brody spielte einen Mörder, die Verknüp­fung von Gefahr und seiner schwar­zen Haut­farbe lag auch dies­mal auf der Hand. Und so ging es immer weiter – nahezu alle Rollen, die Brody spielte, entspra­chen dieser stark rassis­tisch moti­vier­ten Darstel­lung. Das gilt auch für Fritz Langs Science-Fiction-Klas­si­ker „Metro­po­lis“, in dem er die Rolle des „Schwar­zen Mannes“ über­nahm, der zur unter­drück­ten Arbei­ter­klasse zählt und als rassis­tisch konno­tier­ter Stereo­typ des Schwar­zen schlecht­hin präsen­tiert wird.

Hinter­grund war die soge­nannte Schwarze Schmach, über die sich viele Deut­sche Anfang und Mitte der 1920er-Jahre erreg­ten. Sie bestand in ihren Augen darin, dass Frank­reich während der Beset­zung des Ruhr­ge­biets ab Januar 1923 bewusst viele schwarze Solda­ten aus seinen Kolo­nien statio­nierte, um die deut­sche Bevöl­ke­rung zu demü­ti­gen. Den afri­ka­ni­schen Solda­ten wurden zudem zahl­rei­che Verge­wal­ti­gun­gen deut­scher Frauen nach­ge­sagt, die behaup­te­ten Dimen­sio­nen hatten indes nichts mit der Wahr­heit zu tun. Von dieser Stereo­ty­pen-Regel wurde nur einmal abge­wi­chen, nämlich in dem Film „Der weiße Dämon“, 1932 unter der Regie von Kurt Gerron mit Hans Albers und Peter Lorre produ­ziert. Ausnahms­weise wird hier Brody nicht nur als schwar­zer Hotel­page gezeigt, sondern als ein gebür­ti­ger Hambur­ger, also als Deut­scher mit flie­ßen­den Deutsch­kennt­nis­sen.

Mit der Über­nahme seiner Rollen trug Louis Brody zu den rassis­ti­schen Stereo­ty­pen schwarze Menschen betref­fend im Deutsch­land der 20er- und frühen 30er-Jahre bei. Wahr­schein­lich nahm er das bewusst in Kauf, weil er an andere Rollen gar nicht heran­ge­kom­men wäre, die Schau­spie­le­rei ihm zugleich den Lebens­un­ter­halt sicherte und eine gewisse Popu­la­ri­tät brachte. Und diese setzte Brody wiederum im Kampf gegen Rassis­mus und Diskri­mi­nie­rung gegen­über schwar­zen Menschen aus den frühe­ren Kolo­nien ein.

Schon 1918 gehörte er zu den 32 Mitgrün­dern des Afri­ka­ni­schen Hilfs­ver­eins, dessen Ziel es war, als zentrale Anlauf­stelle für Afri­ka­ner in Deutsch­land zu wirken. Im Jahr darauf zählte er zu den Unter­zeich­nern einer Peti­tion von in Deutsch­land leben­den Afro­ame­ri­ka­nern an die in Weimar tagende Natio­nal­ver­samm­lung, in der eine radi­kale Neuauf­stel­lung der Bezie­hung Deutsch­lands zu den Migran­ten aus den frühe­ren Kolo­nien gefor­dert wurde. Eine Antwort erhiel­ten die Initia­to­ren nicht.

1929 wurde Brody Mitglied der „Liga der Vertei­di­gung der Neger­rasse“, die als deut­sche Sektion der Ligue de défense de la race nègre auftrat. Immer ging es ihm darum, rassis­ti­sche Vorur­teile und Stereo­type in der weißen deut­schen Mehr­heits­ge­sell­schaft abzu­bauen und für mehr Rechte für Afri­ka­ner zu kämp­fen. Und er benutzte seine Bekannt­heit als Platt­form für diesen Kampf. „1930 orga­ni­sierte er sogar eine eigene Revue-Show, um das deut­sche Publi­kum zu unter­hal­ten, aber auch, um es über Afrika und die Afri­ka­ner aufzu­klä­ren“, schil­dert Aitken.

Seine Film­kar­riere ging auch nach der Macht­über­nahme der Natio­nal­so­zia­lis­ten Anfang 1933 naht­los weiter, obwohl zahl­rei­che diskri­mi­nie­rende Gesetze erlas­sen wurden, die die Rechte von Schwar­zen stark einschränk­ten. Vor diesem Hinter­grund erstaunt es auf den ersten Blick, dass Brody weiter­hin beim Film mitwir­ken durfte. Doch die von Propa­gan­da­mi­nis­ter Joseph Goeb­bels gelenkte Film­in­dus­trie benö­tigte auch weiter­hin den tumben Schwar­zen, um in den Filmen die angeb­li­che Über­le­gen­heit der weißen Rasse zu demons­trie­ren. Aller­dings fiel jetzt die unter­schwel­lige Erotik weg, dafür wurden die Schwar­zen noch mehr als von den Weißen „domes­ti­ziert“ darge­stellt.

Und es war Louis Brody, der weiter­hin regel­mä­ßig für diese Rollen gebucht wurde – zwischen 1933 und 1945 wirkte er in mindes­tens 23 Filmen mit. So zum Beispiel im wohl schlimms­ten anti­se­mi­ti­schen und rassis­ti­schen Mach­werk „Jud Süss“. Er gab hier einen schwar­zen Diener; das bot der NS-Propa­ganda die Möglich­keit, einen Kontrast zwischen Juden und Schwar­zen zu verdeut­li­chen: Während Erstere beson­ders gefähr­lich seien, weil man sie nicht auf Anhieb erken­nen könne, sei das bei Letz­te­ren aufgrund ihrer Haut­farbe sehr einfach. Als „minder­wer­tig“ aber wurden beiden Grup­pen ange­se­hen.

In dem Strei­fen „Ohm Krüger“ mit Emil Jannings, der auch Regie führte, war Louis Brody eben­falls dabei, dies­mal als Häupt­ling Loben­guela, der sich völlig den Weißen unter­wor­fen hat und ihnen geis­tig klar unter­le­gen ist. Auch über­nahm er in dem Film „Münch­hau­sen“ eine Rolle.

Warum Brody sich für solche Rollen hergab, ist nicht klar, aber ein Gedanke liegt auf der Hand: Hätte er sich gewei­gert, hätte das schlimme Folgen für ihn und seine Verwand­ten haben können, bis hin zur Einlie­fe­rung ins Konzen­tra­ti­ons­la­ger. Außer­dem hätte er wohl keine andere Möglich­keit gehabt, sich finan­zi­ell über Wasser zu halten. „Es ging sicher auch um das finan­zi­elle Über­le­ben, denn andere Beschäf­ti­gungs­mög­lich­kei­ten gab es für ihn nicht“, erklärt Aitken. Seinen Kampf für die Rechte der Schwar­zen konnte Brody selbst­re­dend nach Adolf Hitlers Macht­über­nahme nicht mehr fort­füh­ren. Allein der Versuch wäre vermut­lich sein Todes­ur­teil gewe­sen.

Gespielt bis zum Schluss

Brody blieb bis zum Kriegs­ende in Berlin und wirkte auch bis kurz vor dem Unter­gang des natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Regimes an Filmen mit. Er zog von Schö­ne­berg nach Prenz­lauer Berg um, in die Gaudy­straße 5, gleich am heuti­gen Jahn-Sport­park. Auch hier gibt es heute eine Erin­ne­rung in Form eines Stol­per­steins an ihn. Er blieb dem Film treu. 1949 war er bei der west­deut­schen Produk­tion „Nächte am Nil“ dabei, 1950 bei der Defa-Produk­tion „Die letzte Heuer“.

Am 11. Februar 1951 starb Brody, vier Tage vor seinem 59. Geburts­tag. Mit ihm ging ein Schau­spie­ler und Akti­vist, der, wenn auch viel­leicht auf eine streit­bare Art, den poli­tisch moti­vier­ten Rassis­mus von Natio­na­lis­ten und Rechts­extre­mem bekämpfte, aber ebenso den Alltags­ras­sis­mus einer weißen Mehr­heits­ge­sell­schaft, die sich ihres Rassis­mus gar nicht immer bewusst war. Gerade hierin liegt heute viel­leicht seine Bedeu­tung. Jeden­falls ist Louis Brody alias Ludwig M’bebe Mpessa ein Mann, der nicht verges­sen werden sollte.

Armin Fuhrer, Jour­na­list, Histo­ri­ker und Autor mehre­rer Bücher.

Foto: Mr. Adomako, Nach­fahre von Louis Brody / CC BY-SA 4.0

[ Dieser Text erschien zuerst in der Berli­ner Zeitung und steht unter der Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 ]

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