Vollmond

Ich gehöre nicht zu den aber­gläu­bi­gen Menschen, aber dass es in Voll­mond­näch­ten mehr Ärger im Taxi gibt als sonst, ist eine Tatsa­che. Selbst wenn man gar nicht weiß, dass Voll­mond ist, merkt man es irgend­wann an bestimm­ten Fahr­gäs­ten.
So war es auch gestern wieder. Ich bekam einen Funk­auf­trag in Lank­witz, das Restau­rant ist nicht für schwie­rige Kund­schaft bekannt. Ein einfa­cher Laden mit bürger­li­chem Publi­kum.
Die Dame von etwa 40 Jahren gab sich Mühe, als Vamp zu erschei­nen. Langes, wallen­des, schwar­zes Haar, viel Schmuck, dunkel geschminkte Augen­höh­len, kurzer Rock. Auf meine Begrü­ßung bekam ich keine Antwort. Sie wollte erst­mal zur nahe­ge­le­ge­nen Tank­stelle, wo sie mir einen 20er reichte, mit dem Befehl, eine Aufla­de­karte für ihr Handy zu kaufen. Es gibt Situa­tio­nen und Perso­nen, da würde ich es machen. Aber nicht bei solch einem Ton, der an die Armee erin­nert. Sie drän­gelte, aber ich lehnte es ab, bis sie schimp­fend das Auto verließ und selber in die Tank­stelle ging. Das wäre jetzt der rich­tige Moment gewe­sen, einfach loszu­fah­ren, aber wie das so ist im Leben: Den rich­ti­gen Moment verpasst man meis­tens.
Als sie wieder im Auto saß, nannte sie mir ein Lokal am Lich­ten­ra­der Damm. Vorher aber wollte sie von mir wissen, “wie das so ist” und ob es sich lohnt, dort hinzu­fah­ren. Beides konnte ich ihr nicht beant­wor­ten. Jetzt ging es rich­tig los mit dem Geze­ter und Generve. Als Taxi­fah­rer müsste ich das doch wissen usw., bla. Dann sollte ich ihr sagen, vieviel die Fahrt kostet und zwar genau.
“Das kann ich vorher nicht sagen, wir sehen es ja dann auf dem Taxa­me­ter”, antwor­tete ich.
“Ich will es aber vorher wissen, sonst fahre ich viel­leicht nicht.”
“Ich schätze, um die 15 Euro, aber ohne Garan­tie.”
“Sagen Sie es mir genau!”
“Das geht nicht, wir fahren mit Taxa­me­ter und am Ende wissen wir es.”
“Dann warte ich jetzt so lange, bis Sie es mir sagen!”
“Gut, dann warten wir. Aber Sie sehen, dass die Uhr schon auf 5,20 Euro steht.”
“Läuft das etwa auch, wenn wir nur stehen?”
“Na klar, es ist ja meine Arbeits­zeit.”
“Also 15 Euro?”
“Unge­fähr, ja.”
“Dann fahren Sie los!”
Hurra…
“Und wie ist das Lokal so, ist da viel los heute Abend?”
“Ich — weiß — es — nicht. Ich war da noch nie drin.”
So ging das rund zehn Minu­ten, bis wir endlich anka­men. Die Uhr stand auf 14,80 Euro, meine Nerven auf Null. Die Jalou­sien der Kneipe waren herun­ter­ge­las­sen — entwe­der hatte das Lokal geschlos­sen oder sie wuss­ten, dass die Dame kommt. Jeden­falls machte ich mich auf weite­ren Stress gefasst.
“Tja, geschlos­sen. Was jetzt?”, fragte ich.
“Egal, ich gehe da trotz­dem rein!”
OK. Ich würde sie sicher nicht daran hindern, solange sie nur aussteigt. Sie reichte mir 20 Euro und verschwand aus dem Auto. 5,20 Euro Trink­geld Schmer­zens­geld, besser als nichts, damit hatte ich sicher nicht gerech­net.
Ein altes Ehepaar kam auf mich zu und wollte zur Stadt­grenze. Gerne, nur weg hier.
Als ich einige Minu­ten später auf dem Rück­weg an der Kreu­zung ankam, schal­tete ich extra vorsichts­hal­ber das Taxi­schild aus. Auf der ande­ren Stra­ßen­seite sah ich jeman­den in ein Taxi stei­gen, genau vor dem Lokal. Mein Gedanke war nur: “Armer Kollege.”

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10 Kommentare

  1. Das Foto ist wirk­lich klasse, aber leider falsch! Man läßt nämlich höchs­tens rosa­rote Kühe flie­gen und keine schwarz-weißen.

  2. Na ja, also, dass ich als Klein­stadt­kut­scher nicht jedes unse­rer knapp 15 Restau­rants auswen­dig bewer­ten kann, leuch­tet ja ein. Aber bei euch dürfte es ja nicht so viele geben, da hättest Du dich ja auch etwas genauer äußern können, wenn die Dame schon so liebens­ge­wür­zig gefragt hat :)

  3. Über luna­tics kann ich (zum Glück) nichts berich­ten. Die Nächte am Wochen­ende und auch die gest­rige liefen ohne Auffäl­lig­kei­ten und recht gut.
    Aber ich habe fest­ge­stellt, dass bei hohem Luft­druck in Kombi­na­tion mit hoher Luft­feuch­tig­keit und hoher Tempe­ra­tur vielen Verkehrs­teil­neh­mer ihre Fähig­kei­ten zur Teil­nahme am Verkehr großen­teils abhan­den kommen. Dieses Jahr habe ich sogar mal darüber geschrie­ben:
    http://www.malenki.ch/fp/?x=entry:entry120628-182902

    @Bernd: schau mal genauer hin.

  4. Zumin­dest, ob sich die Fahrt dahin lohnt, hättest Du ja beant­wor­ten können mit “etwa 15 Euro, also es gibt durch­aus schlech­tere Touren”…

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