06 • Vaters Lohn reichte gerade so

Die Miete unse­rer Wohnung nahm ein Vier­tel des Lohnes meines Vaters in Anspruch. Meine Mutter hat das immer erzählt, mein Vater verdiente vor dem 1. Welt­krieg. Nach dem Krieg weiß ich es nicht mehr so genau, da kam ja Infla­tion und alles so was, da kann man das nicht mehr so genau sagen — aber verdiente vor dem Krieg unge­fähr 25 Mark in der Woche, die er raus­be­kam. Und 25 Mark kam unsere Wohnung. Das war als Gasar­bei­ter schon nicht mehr ganz das Unterste, es gab ja genü­gend Leute, die sehr viel weni­ger noch hatten.

Damals war es noch so: Steu­ern wurden ja nicht abge­zo­gen, das musste man im Jahre irgend­wie selber bezah­len, soweit ich mich erin­nern kann, wie mir meine Eltern das erzählt haben. Das war zwar nicht viel, aber so 10 Mark Steu­ern im Jahr, das war schon ein großer Betrag. Und dann muss­ten sie ja auch Versi­che­rungs­bei­träge bezah­len. Unser Vater hatte schon eine Kran­ken­ver­si­che­rung, die bei den Gaswer­ken lief, aber die meis­ten hatten das gar nicht. Die muss­ten das dann noch wieder von ihrem Lohn bezah­len. Die Fami­lien waren ja oft über­haupt nicht versi­chert.

Ich weiß zum Beispiel, dass meine Mutter mir erzählt hatte, dass sie die Gebur­ten immer selber bezah­len muss­ten, zahlte auch nicht die Kran­ken­kasse. Das hat viel­leicht nicht viel gekos­tet, 15 Mark oder so. Die Gebur­ten waren zu Hause, nicht im Kran­ken­haus, die Hebamme kam ins Haus. Ins Kran­ken­haus ging damals niemand, das war einfach gar nicht üblich. Ich weiß gar nicht, ob die Kran­ken­häu­ser früher über­all geburts­hilf­liehe Abtei­lun­gen hatten, viel­leicht in ganz beson­de­ren Fällen. Nee, da kam die Hebamme.

Wir hatten unser Auskom­men, kamen gerade eben so hin. Im Kriege war es ja nun sehr schlecht, unsere Mutter kriegte zwar von den Gaswer­ken einen klei­nen Zuschuss, aber es gab ja nur eine soge­nannte Kriegs­un­ter­stüt­zung. Mutti konnte nicht arbei­ten gehen, wir waren ja drei kleine Kinder, 1910, 1912, und 1914 gebo­ren, meine Schwes­ter ist 1914 gebo­ren, und da war das unmög­lich, was zu verdie­nen. Dann hat sie bloß immer irgend­was gestrickt, da hat sie für die Kirche, glaube ich, die Heilands­ge­meinde in der Otto­straße, da war das Gemein­de­haus, ich kann mich erin­nern, dass ich mitge­gan­gen bin, meis­tens haben sie irgend­was Altes, was sie hatten, ihnen zur Verfü­gung gestellt, dann wurde das aufge­trennt, es musse gebrüht werden, und davon haben sie wieder Socken und so was gestrickt, auch Schals. Da krieg­ten sie ein paar Pfen­nige für. Eine Mark in der Woche, das war dann schon ein Betrag.

Und nach dem Kriege, da hatte mein Vater ja wieder bei den Gaswer­ken ange­fan­gen, was er da genau verdient hat, weiß ich nicht. Ich weiß bloß, als wir 1920 in die Emde­ner Straße 35 zogen, dass wir da fast 40 Mark Miete bezah­len muss­ten. Das waren dann schon 15 Mark mehr an Miete, das muss er ja haben bezah­len können, sonst hätten wir es nicht machen können. Dass er da dann mehr verdient hat. Die Wohnung hatte dann zwei Zimmer. Wenn man rein­kam — vorn war erst die Küche und auch die Toilette und ein klei­nes Zimmer, um die Ecke rum, war ein Berli­ner Zimmer. Das lag ein biss­chen in der Ecke, war düster, aber es war groß. Eine Chai­se­longue hatte Vater gleich gekauft, da konnte mein Bruder in dem klei­nen Zimmer drauf schla­fen, und dann hat er noch eins gekauft, das stand dann da mit drinne, und ich hatte ja sowieso das Bett, und so hatte jeder seine eigene Schlaf­ge­le­gen­heit. Wir waren ja in der Zwischen­zeit auch größer. Solange wir noch klein waren, ging das ja, aber wenn man dann größer ist, ist ja doch nicht schön, zu zweit in einem 90 cm brei­ten Bett zu schla­fen.
Da war auch noch Gasbe­leuch­tung, bis 1926, da ist dann Strom gelegt worden über­all. Mein Bruder kam im Herbst 1926 aus der Schule, da hatten wir zu seiner Jugend­weihe schon elek­tri­sche Beleuch­tung. Im Sommer 1926 muss das gelegt worden sein.

Dann hatten wir auch in der Toilette und auf dem Korri­dor eine Lampe, da war es nicht mehr ganz so fins­ter. Es war nun ein langer Korri­dor, da hatten sie verges­sen, einen Schal­ter hinten noch zu machen, damit man hinten auch knip­sen konnte. Solange wir da wohn­ten, muss­ten wir immer vorne nur bedie­nen. Mein Vater war in der Bezie­hung nicht geschickt, sonst ja, aber mit Strom und so wollte er nichts zu tun haben. Das hatte er sich nicht getraut, da nun noch was ziehen und so. Und da haben wir bis 1934 eben so gewohnt.

Hilde­gard Schön­rock: Wir kamen gerade so hin
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