In den Kellern der Nacht

Tags­über sind sie nicht zu über­se­hen: Sie liegen irgendwo am Rand, manch­mal im Schlaf­sack, sie sitzen auf den U‑Bahnhöfen oder in Haus­ein­gän­gen, betteln auf der Straße und fassen in Müll­ei­mer, um Pfand­fla­schen zu suchen. Obdach­lose gehö­ren zum Stra­ßen­bild und wir haben uns längst an ihren Anblick gewöhnt. Es ist eine Schande, dass die Stadt es nicht schafft, sie in menschen­wür­di­gen Unter­künf­ten unter­zu­brin­gen. Aber der Bau von U‑Bahnen, Flug­hä­fen, Auto­bah­nen und teuren Wohn­an­la­gen ist natür­lich wich­ti­ger. Die einzel­nen persön­li­chen Schick­sale der Menschen am unters­ten Rand inter­es­siert die Stadt nicht.

Die weni­gen hundert Notüber­nach­tungs­plätze sind schon am frühen Abend über­füllt, kurz vor Öffnung der Türen um 18 Uhr stehen lange Schlan­gen von Hilfe­su­chen­den davor.
Auch wenn dieser Winter nicht so hart ist: Vor allem nachts gehen die Tempe­ra­tu­ren noch an den Minus­be­reich, vor eini­gen Wochen 10 Grad unter den Gefrier­punkt. Wer da keinen Platz in der Unter­kunft oder einem der zwei geöff­ne­ten U‑Bahnhöfen ergat­tert, muss zuse­hen, dass er nicht erfriert. In den nachts geöff­ne­ten Super­märk­ten haben sie keine Chance, seit eini­gen Mona­ten werden auch die Vorräume der Banken regel­mä­ßig kontrol­liert und die Wärme­su­chen­den raus­ge­schmis­sen. Öffent­li­che Toilet­ten, wie früher, sind auch keine Lösung, denn bei den moder­nen City-Klos öffnen sich die Türen nach 20 Minu­ten auto­ma­tisch.

Blei­ben die Keller der Wohn­häu­ser. Nicht wenige von ihnen dienen des nachts dem Schutz vor der Kälte. Zuerst aber muss der Betref­fende erst­mal ins Haus kommen. Und dann einen offe­nen Zugang zum Keller finden, damit niemand ihn bemerkt. Denn in jedem Wohn­haus gibt es Leute, die ihn sofort wieder raus­wer­fen oder sogar die Poli­zei rufen würden. Schutz­su­chende Obdach­lose werden offen­bar als Bedro­hung wahr­ge­nom­men. Oder sie stören einfach das klein­bür­ger­li­che Ordnungs­emp­fin­den.

Wenn ich am frühen Morgen zur Arbeit gehe, höre ich auch manch­mal ein leises Schnar­chen aus dem Keller. Oft in den letz­ten Jahren bin ich dann noch­mal runter­ge­gan­gen und habe dem Mann Brote, Äpfel oder Manda­ri­nen hinge­legt, auch mal eine Woll­mütze und einen Pull­over. Und obwohl Obdach­lose meist einen leich­ten Schlaf haben, ist er nie aufge­wacht. Offen­bar hat er sich eini­ger­ma­ßen sicher gefühlt. Es war jedes Mal der glei­che Mann, soweit ich das sehen konnte.

Immer wenn ich dann in meine Wohnung zurück­ge­gan­gen bin, hatte ich das Gefühl, privi­le­giert zu sein, weil ich ja meine warmen Räume habe, mit rich­ti­gem Bett, Küche, Dusche. Es war immer ein schlech­tes Gefühl, weil ich so direkt mit dieser Unge­rech­tig­keit konfron­tiert wurde.
In diesem Winter nun habe ich ihn noch nicht gese­hen. Viel­leicht hat er einen besse­ren Keller gefun­den, denn auch hier bei uns gibts Leute, die ihn sofort raus­ja­gen würden. Hat er eine Wohnung? Das wäre natür­lich klasse. Oder gibt es ihn viel­leicht nicht mehr? Oder ist er einfach nicht mehr ins Haus gekom­men und kauert sich wie seine Leidens­ge­nos­sen irgendwo in einer Haus­ecke, die nach Hunde­pisse stinkt?
Es ist schreck­lich, dass man sich über­haupt solche Gedan­ken machen muss.

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8 Kommentare

  1. Moin, moin,
    ich meine mich zu erin­nern, dass es für die Kommune sogar eine Pflicht gibt, Obdach­lose mit einem Schlaf­platz zu versor­gen. das ergibt sich irgend­wie aus dem Gefah­ren­ab­wehr­recht.
    Private Keller sind keine wirk­li­che Alter­na­tive. Ich kann die Menschen verste­hen, die Angst haben. Denn es geht dann auch um Rauchen, eine Kerze usw. also um Brand­ge­fahr und auch immer wieder um das Verrich­ten der Notdurft. Ich kann verste­hen, dass Haus­be­sit­zer oder Mieter deshalb abschlie­ßen oder wenn sie dennoch auf jeman­den tref­fen die Poli­zei rufen.
    Leider gibt es aber auch größer werdende Perso­nen­kreise, für die das Recht nicht zu gelten scheint. Migran­ten aus Osteu­ropa, die noch keine Arbeit finden konn­ten werden aus dem klas­si­schen Hilfe­sys­tem ausge­grenzt. Da habe ich auch noch keine Idee, wie wir das Problem bewäl­ti­gen können.
    Gruß Frank

  2. Lieber Aro,

    vielen Dank für deinen mitfüh­len­den Arti­kel. Mir ist das Herz aufge­gan­gen bei deinen Worten. Und JA, auch ich bin sehr oft dank­bar für das große Glück eine warme Wohnung und einen Kühl­schrank (der im Winter aus ist!) zu haben.

    Es ist wirk­lich eine Schande wie sich unsere Gesell­schaft verän­dert und ich komme oft nur schwer damit klar. Es ist so, als ob nur noch große Themen wich­tig sind und alle Klei­nig­kei­ten hinten runter fallen. Womit ich NICHT das Problem von Obdach­lo­sig­keit meine. Die Menschen schei­nen schon so abge­stumpft oder egois­tisch zu sein, dass sogar ein Mitein­an­der als FUSS­GÄN­GER nicht mehr lohnens­wert scheint. Die virtu­elle Welt des Handys ist wich­ti­ger als die reale Umwelt. Damit geben die Menschen zum großen Teil ihre Wahr­neh­mung und die Gestal­tung ihrer REALI­TÄT an die Medien ab. Die danken es mit Kuss­hand und die Poli­ti­ker sowieso. Lange war es nicht so leicht, die Gesell­schaft zu einfach kontrol­lie­ren.

    Diese Methode funk­tio­niert in den USA schon immer gut. Mache den Menschen Angst und jeder kämpft nur noch für sich alleine. Die gefühlte Infor­ma­ti­ons­flut ist so oft doch eher genau das Gegen­teil und macht einsam an echtem Leben. Nur noch ausge­suchte Kontakte und am besten bestell­ten, genma­ni­pu­lier­ten Hoch­leis­tungs­nach­wuchs.

    Danke, dass Du Dich so liebe­voll um einen Menschen geküm­mert hast. Dafür liebe ich Dich. Du bist ein Segen für unsere Gesell­schaft!

  3. Für mich stel­len zumin­dest diese hier beschrie­ben konkre­ten Perso­nen eine massive !!! Gefahr für ihre Mitmen­schen dar …

    https://www.bz-berlin.de/berlin/mitte/online-okay-obdachlose-besetzen-seit-einem-jahr-mieter-keller

    Und ja, — die Städte und Kommu­nen sind verpflich­tet für Obdach­lose zumin­dest Notun­ter­künfte zur Verfü­gung zu stel­len und anzu­bie­ten.

    Aber kein Obdach­lo­ser ist verpflich­tet diese Ange­bote anzu­neh­men.

    Während meiner Arbeit als Sozi­al­ar­bei­ter bei der Cari­tas hab ich sogar bestimmte Leute aus unse­ren Einrich­tun­gen raus­ge­wor­fen, weil deren “Sozi­al­ver­hal­ten” gegen­über den ande­ren Obdach­lo­sen und Mitar­bei­tern nicht nur subop­ti­mal sondern hoch­gra­dig krimi­nell gewe­sen war (Angriffe mit Messern und Sprit­zen z.B oder mitten im Essraum auf den Tisch kacken).

    Ich hätte diese Perso­nen zur Lehr­ter Str. 27–30 nach Berlin schi­cken sollen. Da wären sie will­kom­men gewe­sen …

    • Niemand bestrei­tet, dass es auch viele asoziale Obdach­lose gibt. Auch ich habe Erfah­rung mit Sozi­al­ar­beit mit Wohnungs- und Obdach­lo­sen — früher als Betrof­fe­ner sowie später als ehren­amt­li­cher Akti­ver.
      Aber diese Menschen unter Gene­ral­ver­dacht zu stel­len ist genauso wider­lich wie das bei Migran­tIn­nen ist: Eine ganze Gruppe von Menschen erst­mal zu verur­tei­len, weil es auch “schwarze Schafe” unter ihnen gibt.
      Obdach­lose sind in einer schlim­men Situa­tion und anstatt ihnen zu helfen, werden sich noch diskri­mi­niert und wegge­jagt. Eine feine Gesell­schaft, die so etwas gutheißt!

  4. Wer hat den hier was von einen gene­rel­len Gene­ral­ver­dacht verlaut­ba­ren lassen? Weder gesamt­ge­sell­schaft­lich noch hier in den Kommen­ta­ren sehe ich was davon.

  5. Selbst­ver­ständ­lich kann man etwas machen, und zwar drin­gendst: Es müssen halt noch mehr geeig­nete Unter­kunft­häu­ser errich­tet werden mit entspre­chen­den sozi­al­ge­schul­ten Mitar­bei­tern. Das ist doch ganz klar, dafür muss Geld gege­ben werden! Es ist doch ein unmög­li­cher Zustand in unse­rer Gesell­schaft, daß MENSCHEN auf den Stras­sen die (kalte) Nacht zubrin­gen MÜSSEN!!
    Die Gemein­den haben die Verant­wor­tung für diesen schänd­li­chen Zustand.

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