Die Heuchler vom Bahnhof Zoo

Der neuste Tages­spiegel berich­tet davon, dass im Bahn­hof Zoo zwei Auto­ma­ten­ca­si­nos gebaut werden soll­ten. Dieser Plan wurde mitt­ler­weile von der Deut­schen Bahn wieder fallen­ge­las­sen, es gab Proteste von der CDU, die gleich einen Skan­dal anpran­gerte und natür­lich protes­tierte auch die AG City, wie immer.
Was an dem Casino böse ist, das in einer der hinte­ren Ecken des Bahn­hofs im ehema­li­gen Post­amt einge­rich­tet werden sollte, ist unklar.  Dort verir­ren sich sowieso nur dieje­ni­gen hin, die das auch suchen. Und ob ein neues Spiel­ca­sino nun die Gegend soviel schlech­ter machen würde als die vielen Sexshops und Burger­bu­den, darf bezwei­felt werden.
Inter­es­sant aber finde ich einen Satz in dem Arti­kel: “Die Gegend war vor allem durch das 1978 erschie­nene Buch ‘Wir Kinder vom Bahn­hof Zoo’ bundes­weit als Treff­punkt vom Drogen­süch­ti­gen und Stri­chern in Verruf gera­ten”. Durch das Buch ist die Gegend in Verruf gera­ten? Nicht durch den Dreck, die pöbeln­den Knei­pen­be­su­cher, die Pisse-Pfüt­zen, die herum­lie­gen­den Sprit­zen und leeren Korn­fla­schen? Köpft den Über­brin­ger der schlech­ten Nach­richt!

Die Aufre­gung um die Gegend, die ja in Verruf gera­ten könnte, ist schein­hei­lig. Der Bahn­hof ist schon seit Jahr­zehn­ten ein Drecks­loch, das hat sich auch nicht dadurch geän­dert, dass neue Möbel, Cafés und schi­cke Schal­ter instal­liert wurden. Der in der Halle herum­lun­gernde Wach­schutz nimmt seine Aufgabe sehr ernst. Gib mir eine Uniform und ich werde zum hirn­lo­sen Befehls­emp­fän­ger. In der Bahn­hofs­halle reicht es, wenn man unge­pflegte Klamot­ten hat, um gleich ange­macht zu werden. Dass vor dem Bahn­hof neuer­dings wieder Hütchen­spie­ler aktiv sind, inter­es­siert sie nicht, vor denen haben sie offen­bar Angst.
Anders als vor der alten Dame, mit zerris­se­ner Klei­dung, augen­schein­lich obdach­los, die vom Harden­berg­platz kommend zu Bahn­hofs­mis­sion will, wo sie etwas zum Essen und Trin­ken bekommt. “Der Bahn­hof darf nur von Reisen­den betre­ten werden”, schnauzt einer der Hilfs-Rambos die verschüch­terte Dame an und grinst blöd. Er fühlt sich als Held.
Wenn die Bahn und der Bezirk es ernst meinen würden, dann wären nicht die Obdach­lo­sen, nicht die auslän­di­schen Punks, nicht die Flaschen sammeln­den, zerris­se­nen Menschen Ziel ihrer Kampa­gne. Die sind nur das schwächste Glied, auf das man ja gefahr­los einschla­gen kann. Man braucht nur mal eine Runde um den Bahn­hof Zoo zu drehen, um zu merken, dass es noch immer kein klinisch reiner Ort ist. Glück­li­cher­weise. Die Alko­ho­li­ker, die Junkies, die Stri­cher, sie sind immer noch da. Drau­ßen. Und wenn man ihnen ein, zwei Toilet­ten hinstel­len würde, sauber und betreut und nicht wie die Teile in der Hertz­al­lee, dann gäbe es auch keine gelben Pfüt­zen mehr rund um den Bahn­hof. Wenn ein Druck­raum einge­rich­tet würde, müss­ten sich die Junkies nicht in den Büschen und Haus­ein­gän­gen der Jebens­straße herum­drü­cken. Aber die einzi­gen, die wirk­lich aktiv gegen das Elend ange­hen, ist die Bahn­hofs­mis­sion. Sie kümmert sich um die Armen, schenkt was zum Essen aus und auch Anzieh­sa­chen, wenn es nötig ist. Wehe aber, einer der bösen “Penner” wagt es, sich in der Halle sehen zu lassen, an einem der schi­cken Cafés darin, um etwas zum Trin­ken zu bieten. Oder dass wir darum bitten, Kaffee für die Bahn­hof­mis­sion zu mahlen — dann wird man sofort wegge­schickt.
Gefragt ist nur der Schein, das Elend soll gefäl­ligst hinter der Fassade verschwin­den. Und genau dieses Denken ist mit verant­wort­lich dafür, dass hilf­lose Menschen nicht inte­griert werden, sondern abge­scho­ben. Deshalb ist nicht das Buch über die Kinder vom Bahn­hof Zoo für den schlech­ten Ruf verant­wort­lich und auch nicht die Armen, Alkies, Stri­cher und Junkies, sondern dieje­ni­gen, die nur darauf bedacht sind, eine feine Fassade zu errich­ten. Das versu­chen sie am Bahn­hof Zoo seit Jahren. Zum Glück erfolg­los. Die Reali­tät lässt sich eben nicht immer vom Glit­zer verdrän­gen. Auch nicht durch die Berufs-Heuch­ler, egal ob sie im Bezirks­amt sitzen, in den Partein oder der AG City.

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6 Kommentare

  1. Das ist ja nicht nur ein Problem vom Bahn­hof Zoo, sondern ein gesamt­ge­sell­schaft­li­ches. Über­all werden die, die in unse­rem System nicht reibungs­los funk­tio­nie­ren, die durch irgend­wel­che Umstände an das Ende der sozia­len Leiter gera­ten, unter den Teppich gekehrt. Haupt­sa­che, die Fassade einer Wohl­stands­ge­sell­schaft wird aufrecht erhal­ten. Siehe auch die Diskus­sion um die Junkies vom Kott­bus­ser Tor. Aber: „Man braucht nur mal eine Runde um den Bahn­hof Zoo zu drehen, um zu merken, dass es noch immer kein klinisch reiner Ort ist. Glück­li­cher­weise. Die Alko­ho­li­ker, die Junkies, die Stri­cher, sie sind immer noch da.“ Ich muss zuge­ben, dass ich nicht viel weiß über die Schick­sale der Einzel­nen, aber von „Glück“ würde ich in diesem Zusam­men­hang nicht reden wollen. Das will ich aber nicht als Kritik an deinem Arti­kel verstan­den haben wollen, den ich auch unter­schrei­ben würde, halte ich aber für, sagen wir eine unglück­li­che Formu­lie­rung?

  2. Ja, wenn man Formu­lie­run­gen im Kommen­tar noch­mal erklä­ren muss, sind sie wohl tatsäch­lich unglück­lich.
    Ich meinte natür­lich, dass sie es glück­li­cher­weise noch nicht geschafft haben, diese Menschen von dort komplett zu verdrän­gen. Eben genau aus diesem Grund: Aus den Augen, aus dem Sinn.

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