
Vielen Menschen ging es schlechter, aber an Wohnungsräumungen in unserem Haus, daran kann ich mich nicht erinnern, ist nirgendwo eine Wohnung geräumt worden. Aber es ist sonst durchaus vorgekommen, sicher, wenn die Miete nicht mehr bezahlt werden konnte.
Wir hatten im Haus sehr unterschiedliche Leute, der größte Teil waren Handwerker, die irgendwo arbeiteten. Vorne im Haus wohnten ein paar Beamte und unser Hausverwalter nachher, was der eigentlich war, weiß ich nicht. Er war der erste Nazi in unserem Haus, Kriegsversehrter mit einem Bein. Meine Schwester behauptete immer, das war nicht vom Krieg, das hat er sich beim Kapp-Putsch oder so was geholt. Jedenfalls hatte er ein Bein weg, ein Nazi irgendwie. Was der war? Muss bei irgendeiner Behörde gewesen sein, auch ein Beamter. Dann waren ein paar nette Beamte oben, unten im Haus war ein Kohlenhändler, der selbständig war, der die Kohlenhandlung und ein Fuhrgeschäft hatte. Nebenan wohnte ein Lehrer, der aus Westpreußen raus musste nach dem 1. Weltkrieg, der wohnte mit seiner Familie in der Ladenwohnung.
Auf der anderen Seite wohnten in einem Laden Juden aus Russisch-Polen, die auch geflüchtet waren, der Mann war Konfektionär in einem Warenhaus. Das nannte man nicht Verkäufer, das nannte man Konfektionär. Unser Nachbar arbeitete bei einer Juweliefirma Unter den Linden, das war auch eine jüdische Firma, der war als Tag- und Nachtwächter angestellt. Oben drüber der war Schuhmacher, über uns der war Arbeiter, arbeitete bei Siemens. Dann war einer noch bei der Post, Briefträger. Ja, und hinten, da war einer Maurer, einer Schlosser, auch ein ungelernter Arbeiter, eine Frau, die im Büro arbeitete, Kriegerwitwe war vom 1. Weltkrieg, eine andere, die auch Kriegerwitwe war, die arbeitete auch irgendwas, war dann wieder verheiratet. So in etwa, ja?
In unserem Haus gab es keine Räumungen. Die Handwerker, das waren ja alles Leute, die schon im Krieg waren, die alle zu der Zeit schon Familie hatten, zwischen 40 und 50 Jahren, die waren alle eigentlich nicht arbeitslos. Die arbeiteten alle. Unser Nachbar wurde nachher arbeitslos, aber aus dem Grunde, weil die Firma, bei der er da war, war eine große, jüdische Juwelierfirma in Berlin. Die hatten ein riesengroßes Geschäft mit zehn Schaufenstern, ein Riesending, ich komme nicht mehr auf den Namen, und die sind dann weggegangen, und da wurde er arbeitslos. Der war eine ganze Zeit lang arbeitslos, aber irgendwie sind die auch über die Runden gekommen. Da war noch der Opa, der bei ihnen wohnte, der arbeitete bei Bolle noch als Pferdepfleger. Irgendwie lief es immer weiter.
Das Haus gehörte einem Privatmann, der hatte diesen Verwalter. Wem es genau gehörte, weiß ich gar nicht. Die Miete, die hat die Portierfrau kassiert, nicht mal der Verwalter. Der Verwalter, der wohnte vorne, die Portierfrau wohnte hinten, die hat die Miete kassiert, mit Mietbuch.
Hildegard Schönrock: Wir kamen gerade so hin
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