11 • Mit Vater konnte man immer reden

Mit unse­rem Vater haben wir immer furcht­bar viel gere­det. Ich kann mir über­haupt keinen besse­ren Vater vorstel­len, denn er hat uns eigent­lich alles erlaubt, was in seinen Kräf­ten stand. Wenn wir gesagt haben: “Papa, wir möch­ten gern am Sonn­tag auf Fahrt gehen” — das kam dann meis­tens 50 Pfen­nig Fahr­geld, um hier mit der S‑Bahn nach Orani­en­burg oder Birken­wer­der oder Bernau oder auch nach Pots­dam zu fahren. Das war immer die Gruppe, wo es hin und zurück eine Mark Fahr­geld kostete. Da wir aber auf Jugend­fahr­schein fuhren, kam es denn für uns immer nur die Hälfte. “Papa, wie ist es, kannst Du uns 50 Pfen­nig geben?” Dann hat er hin und her über­legt, meis­tens musste er das ja von seinem Taschen­geld abzwei­gen, wenn er uns was gege­ben hat. Aber er hat es eigent­lich meis­tens gege­ben.

Aber bei diesen 50 Pfen­nig, also 1,50 Mark für uns drei, da war nichts bei. Da durf­ten wir unter­wegs nichts trin­ken, da durf­ten wir keinen Groschen verlie­ren oder sonst irgend­was, das war eben einfach nicht drin. Taschen­geld als Kinder hatten wir ja nicht. Gab’s nicht. Erst nach­her, als ich in die Handels­schule ging, da habe ich dann ein paar Groschen Taschen­geld gekriegt.

Wenn man bedenkt, was Kinder heute … neulich sehe ich so einen Knirps, viel­leicht elf, zwölf Jahre, der zieht 100 Mark aus der Tasche … Nein! Wir haben nicht mal einen Groschen gehabt! Also was heute Eltern ihren Kindern so geben, ich versteh das einfach nicht.

Ich bin auch einkau­fen geschickt worden, ich bin viel einkau­fen gegan­gen. Nach­mit­tags immer, damals machte die Markt­halle um 17 Uhr auf, von 17 bis 19 Uhr, sie hatte morgens von 7 bis 13 Uhr, glaube ich, auf, dann nach­mit­tags noch mal von 17 bis 19 Uhr. Und dann schickte mich Mutter immer noch mal hin, um Wurst zu kaufen meis­tens. “Hauser” war der erste große, ganz schi­cke Stand da in der Halle. Die hatten denn schon so eine ganze Reihe, der hatte das alles schon mit Glas gemacht und immer solche Luken zwischen, wo die Verkäu­fe­rin­nen hinter­stan­den, ganz schick schon. Und ganz hygie­nisch, was die ande­ren über­haupt noch nicht hatten. Da wurde ich dann immer hinge­schickt. Mutter hat mir dann eine Mark gege­ben und hat gesagt, dafür kaufste vier­mal ein Vier­tel Pfund von der, von der, von der und von der Wurst, kriegte ich ganz genau, also konnte ich nicht Schmuh machen, also gar nichts. Es wurde täglich einge­kauft, denn wir hatten ja keinen Kühl­schrank oder so was. Über­haupt im Sommer, dann war das eben frisch. Es reichte zum Abend­brot für uns fünf, und am nächs­ten Tag für die Schul­brote bezie­hungs­weise für das Brot, das mein Vater mitnahm, oder nach­her, als wir auch ins Büro oder so gingen, für unsere Brote. Wir aßen ja nicht so viel, mein Bruder, der nahm ja immer so ein Paket mit, aber Kantine war noch nicht, Mittag­essen, da musste man eben Brot mitneh­men. Meine Schwes­ter und ich haben viel­leicht zwei Paar mitge­nom­men, mein Bruder hat fünf Paar Stul­len mitge­nom­men.

Vater hat nur immer ein Paar mitge­nom­men. Der hatte damals die Bremer Straße, Wilhelms­ha­ve­ner Straße und Bugen­ha­gen­straße, das war sein Revier zum Kassie­ren. Ich sagte ja, nach dem Krieg hatte er sich verän­dert vom Gasar­bei­ter zum Kassie­rer. Vor dem Krieg kam jemand, der las ab, dann wurde die Rech­nung ausge­sucht, und dann kam jemand mit der Rech­nung, der kassierte.

Nach dem Krieg haben sie das dann anders gemacht, da haben sie abge­le­sen und kassiert. Und das hat er nach­her gemacht, bis er zwangs­weise pensio­niert wurde 1933. Und da hatte er immer so in dem Dreh sein Lokal, da ging er ne Molle trin­ken für 15 Pfen­nig und aß sein Früh­stücks­brot dazu. Mittags kam er nach Hause, meis­tens so, wenn wir aus der Schule kamen, so gegen zwei war das, waren wir immer so zu Hause. Dann kam er und musste ja seine Abrech­nung machen und das Geld zählen, alles durch­zäh­len und fertig machen und bei der Post einzah­len. Das hat er dann zu Hause gemacht.

Nee, mit meinem Vater konnte man immer reden. Wenn es sich einrich­ten ließ, hat er es immer gemacht. Wir Geschwis­ter, wir sind gut mitein­an­der ausge­kom­men, auch heute noch. Mein Bruder ist zwar nicht in Berlin, aber wir tele­fo­nie­ren öfter. Tref­fen uns auch hin und wieder. Mit meiner Schwes­ter bin ich sowieso immer zusam­men. Wir sind eigent­lich immer nett ausge­kom­men, auch mit jungen Leuten, ich komme mit allen aus, auch mit den Kindern.

Solange wie meine Groß­el­tern lebten, sind wir öfter zu ihnen hinge­gan­gen, Groß­mutter ist alt gewor­den, sie ist 85 gewor­den, ist 1946 gestor­ben, Groß­va­ter starb schon 1933, später sind wir nur zu Groß­mutters Geburts­tag immer hinge­gan­gen.

Hilde­gard Schön­rock: Wir kamen gerade so hin
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