
Mit unserem Vater haben wir immer furchtbar viel geredet. Ich kann mir überhaupt keinen besseren Vater vorstellen, denn er hat uns eigentlich alles erlaubt, was in seinen Kräften stand. Wenn wir gesagt haben: “Papa, wir möchten gern am Sonntag auf Fahrt gehen” — das kam dann meistens 50 Pfennig Fahrgeld, um hier mit der S‑Bahn nach Oranienburg oder Birkenwerder oder Bernau oder auch nach Potsdam zu fahren. Das war immer die Gruppe, wo es hin und zurück eine Mark Fahrgeld kostete. Da wir aber auf Jugendfahrschein fuhren, kam es denn für uns immer nur die Hälfte. “Papa, wie ist es, kannst Du uns 50 Pfennig geben?” Dann hat er hin und her überlegt, meistens musste er das ja von seinem Taschengeld abzweigen, wenn er uns was gegeben hat. Aber er hat es eigentlich meistens gegeben.
Aber bei diesen 50 Pfennig, also 1,50 Mark für uns drei, da war nichts bei. Da durften wir unterwegs nichts trinken, da durften wir keinen Groschen verlieren oder sonst irgendwas, das war eben einfach nicht drin. Taschengeld als Kinder hatten wir ja nicht. Gab’s nicht. Erst nachher, als ich in die Handelsschule ging, da habe ich dann ein paar Groschen Taschengeld gekriegt.
Wenn man bedenkt, was Kinder heute … neulich sehe ich so einen Knirps, vielleicht elf, zwölf Jahre, der zieht 100 Mark aus der Tasche … Nein! Wir haben nicht mal einen Groschen gehabt! Also was heute Eltern ihren Kindern so geben, ich versteh das einfach nicht.
Ich bin auch einkaufen geschickt worden, ich bin viel einkaufen gegangen. Nachmittags immer, damals machte die Markthalle um 17 Uhr auf, von 17 bis 19 Uhr, sie hatte morgens von 7 bis 13 Uhr, glaube ich, auf, dann nachmittags noch mal von 17 bis 19 Uhr. Und dann schickte mich Mutter immer noch mal hin, um Wurst zu kaufen meistens. “Hauser” war der erste große, ganz schicke Stand da in der Halle. Die hatten denn schon so eine ganze Reihe, der hatte das alles schon mit Glas gemacht und immer solche Luken zwischen, wo die Verkäuferinnen hinterstanden, ganz schick schon. Und ganz hygienisch, was die anderen überhaupt noch nicht hatten. Da wurde ich dann immer hingeschickt. Mutter hat mir dann eine Mark gegeben und hat gesagt, dafür kaufste viermal ein Viertel Pfund von der, von der, von der und von der Wurst, kriegte ich ganz genau, also konnte ich nicht Schmuh machen, also gar nichts. Es wurde täglich eingekauft, denn wir hatten ja keinen Kühlschrank oder so was. Überhaupt im Sommer, dann war das eben frisch. Es reichte zum Abendbrot für uns fünf, und am nächsten Tag für die Schulbrote beziehungsweise für das Brot, das mein Vater mitnahm, oder nachher, als wir auch ins Büro oder so gingen, für unsere Brote. Wir aßen ja nicht so viel, mein Bruder, der nahm ja immer so ein Paket mit, aber Kantine war noch nicht, Mittagessen, da musste man eben Brot mitnehmen. Meine Schwester und ich haben vielleicht zwei Paar mitgenommen, mein Bruder hat fünf Paar Stullen mitgenommen.
Vater hat nur immer ein Paar mitgenommen. Der hatte damals die Bremer Straße, Wilhelmshavener Straße und Bugenhagenstraße, das war sein Revier zum Kassieren. Ich sagte ja, nach dem Krieg hatte er sich verändert vom Gasarbeiter zum Kassierer. Vor dem Krieg kam jemand, der las ab, dann wurde die Rechnung ausgesucht, und dann kam jemand mit der Rechnung, der kassierte.
Nach dem Krieg haben sie das dann anders gemacht, da haben sie abgelesen und kassiert. Und das hat er nachher gemacht, bis er zwangsweise pensioniert wurde 1933. Und da hatte er immer so in dem Dreh sein Lokal, da ging er ne Molle trinken für 15 Pfennig und aß sein Frühstücksbrot dazu. Mittags kam er nach Hause, meistens so, wenn wir aus der Schule kamen, so gegen zwei war das, waren wir immer so zu Hause. Dann kam er und musste ja seine Abrechnung machen und das Geld zählen, alles durchzählen und fertig machen und bei der Post einzahlen. Das hat er dann zu Hause gemacht.
Nee, mit meinem Vater konnte man immer reden. Wenn es sich einrichten ließ, hat er es immer gemacht. Wir Geschwister, wir sind gut miteinander ausgekommen, auch heute noch. Mein Bruder ist zwar nicht in Berlin, aber wir telefonieren öfter. Treffen uns auch hin und wieder. Mit meiner Schwester bin ich sowieso immer zusammen. Wir sind eigentlich immer nett ausgekommen, auch mit jungen Leuten, ich komme mit allen aus, auch mit den Kindern.
Solange wie meine Großeltern lebten, sind wir öfter zu ihnen hingegangen, Großmutter ist alt geworden, sie ist 85 geworden, ist 1946 gestorben, Großvater starb schon 1933, später sind wir nur zu Großmutters Geburtstag immer hingegangen.
Hildegard Schönrock: Wir kamen gerade so hin
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